09.07.12 Dilemma

Ein Besucher zeigt auf eines der Schiffe am Bohlwerk. "Wie lange sollte ein solches Schiff denn ursprünglich halten?" Die Gebrauchsschiffe wurden für eine wirtschaftliche Nutzungsdauer von zwanzig, maximal dreissig Jahren gebaut.

Nun sind die meisten -sofern sie keine Nachbauten sind- tatsächlich drei- bis fünfmal älter. Das erfordert natürlich einen Preis, für Wartung, Pflege, Reparatur und notfalls Restaurierung. Dies alles zusätzlich unter Zeitdruck, denn Schiffe können weder im Wasser, noch an Land beliebig lange sich selbst überlassen bleiben.


Ein altes Haus kann notfalls zugenagelt werden und längere Zeit sich selbst überlassen bleiben. Einen Oldtimer kann man eine Weile in der Garage vergessen. Bei einem Traditionssegler geht das nicht. Alle Versuche, das Gegenteil zu beweisen, sind gescheitert. Was dann folgt, ist die Restaurierung. Von manchen "originalen" Kuttern, Schonern und Galeasen stammen, so sagt man, lediglich ein paar untergeordnete Teile noch vom Original. Alles übrige wurde im Lauf der Zeit nachgebaut, bei Reparaturen verändert, oder durch andere Konstruktionen ersetzt.

Zusätzlich gibt es bei solchen Schiffen, anders als bei klassischen Jachten, Automobilen, Uhren oder anderen "funktionellen Objekten" nur geringes Einverständnis unter den Fachleuten was Standards für die Infahrthaltung betrifft. Denn die Schiffe bekamen durchweg eine andere Verwendung als ihre ursprüngliche.

Wer will schon seine Freizeit auf einem original hergestellten Fischkutter verbringen? In der Vorpiek wird geschlafen, gekocht, in den Eimer gesch...., Platz für Gäste -so diese denn interessiert sind unter diesen Bedingungen zu segeln- gibt es nicht, weil in der Bünn das Wasser schwappt.
Dazu die Behörden. Man benötigt Ausnahmegenehmigungen zum Fischen auf traditionelle Art. Gleichzeitig werden tief greifende Änderungen wegen der Sicherheit, des Umweltschutzes und anderer hochrangiger Ziele notwendig.

Das Ergebnis ist dann ein, sagen wir mal: Snurrewaden-Kutter  der für Freizeitzwecke geeignet sein muss, aber dennoch in einem Museumshafen eine gute Figur machen soll.

In Deutschland, anders als im benachbarten Dänemark, gibt es auch keine Organisation, die den Besitzern museale Standards mit Zuschüssen und mit Rat und Tat schmackhaft macht. Es gibt nicht einmal unstrittig anerkannte Fachleute für diesen Themenkreis.  Der Eigner bewegt sich dem magischen Viereck von Nutzbarkeit, Denkmalschutz, Finanzierbarkeit und persönlichem Geschmack. Er macht's dann getreu der Maxime "Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitte" (Goethe, Dichtung und Wahrheit).

Kommt dann ein "Fachmann", oder gar eine "Kommission" und kritisiert, kann der Eigner mit einem anderen Zitat antworten: "Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" und hat meistens Recht. So wie Kant schon vor 229 Jahren. Und das liegt doppelt so lange zurück wie der Stapellauf der ältesten Schiffe am Bohlwerk.