Kaum ein Shanty, das die Seele eines Traditionsseglers mehr anspricht, als das berühmte Lied der Leute zur See:
Rolling home. Es besingt die Sehnsucht englischer Seeleute auf Australienfahrt nach der Heimat und den Lieben, die dort warten.
Das ist für den durchschnittlichen Traditionssegler allerdings eine etwas übertriebene Emotion. Erstens ist er oder sie höchstens wenige Tage von den Liebsten getrennt und wenn doch, dann liegen weder Kap Hoorn noch die Rossbreiten vor der Heimkehr "when the gray dawn brings the light" .
Erklingen diese wehmütigen Strophen heutzutage, hat es oft mehr mit einem gehörigen "Sjluck ausse Pulle" zu tun. Was dann zwangsläufig zu einem ausgeprägten rolling on the way home führt. Heißt doch "rolling" zu deutsch "schlingernd" oder "schwankend". Das ist, wie man seit Konfuzius weiß, auch eine Frage von Maß und Mitte. Womit wir sogleich bei der Frage sind, wie viel ist zuviel?
Diese Frage stellt sich nicht nur an Jan und Jenny Maat, sondern auch an den Schipper, wenn es um sein Schiff geht. Denn schwankt das gute Stück zu sehr, könnte es an seinen Punkt ohne Wiederkehr kommen. Das nennt man dann kentern. Früher hier - und heute noch in anderen Breiten - gingen viele Schiffe und noch mehr Menschenleben verloren, weil sich Schiffe so weit zur Seite überlegten, bis sie sich nicht mehr selbsttätig aufrichten konnten und sanken.
Traditionsschiffe kentern eher selten. Das liegt daran, dass für die Freigabe ein amtlicher Krängungstest vorgeschrieben ist, der zusammen mit Stabilitätsberechnungen ausreichende Sicherheit feststellen soll.
Heute konnten wir beobachten, wie für den Finkenwärder Kutter-Ewer
PROVIDENTIA der Ostseeschule in Flensburg diese Krängungsmessung durchgeführt wurde. Laienhaft, wie wir sind. hatten wir spektakuläre Maßnahmen erwartet. Eine Überlegung war, dass die Masten so weit zum Wasser heruntergezogen würden, bis die Seitendecks überflutet sind. Davon keine Spur. Die Wirklichkeit ist viel profaner. Bevor wir kamen, und bereits bei einem früherern Werftaufenthalt, war die Form des Rumpfes durch Lasermessung genau in Bits und Bytes erfasst worden. Jetzt musste "nur" noch erfasst werden, wie sehr der Rumpf bei einseitig aufgebrachter Deckslast krängt.
Als wir kamen hing bereits ein Lot an dünner Leine mittschiffs über Deck befestigt in den
Rumpf hinab. Im Inneren des Schiffes zeigte die Spitze des Lots auf eine Holzleiste, die bereits eine Markierung für die neutrale Lage, also Krängung Null, enthielt. An Deck standen auf beiden Seiten unterschiedliche
Gewichte von je 50 kg und zwei von 500 kg (geschätzt). Ein Kran hob sie von einer Seite auf die andere und anschließend wurde unter Deck gemessen wie weit das Lot auswanderte. "Nicht mehr als drei Grad" lautete die Vorgabe, bei größerer Änderung seien die Messwerte unbrauchbar.
Hätten wir gefragt, hätten wir sicherlich auch eine gute Auskunft bekommen wie das zusammenhängt. Aber so neugierig waren wir heute nicht. Vermutlich hätten wir uns sonst auch in die Mysterien der Berechnung komplex geformter Flächen, von Gewichtsschwerpunkten, Metazentren und Auftriebsschwerpunkten und soweiter einarbeiten sollen. Wen's interessiert: Die einschlägigen Artikel in Wikipedia sind gut verständlich verfasst, besser als wir es an dieser Stelle wiedergeben könnten.
Kurz und gut: Ein Ergebnis eines Computerprogramms, das mit den Messungen gefüttert wird, sieht dann aus wie die hier gezeigte Stabilitäskurve. Was sie aussagt: Sie zeigt, wie groß die Kraft ist, die den Rumpf aufrichtet. Dort, wo die Kurve die Horizontale schneidet, ist diese Kraft nicht wirksam. Das ist einmal bei dem Winkel 0° Krängung und, wie in dem Beispiel hier, bei 64°. Bei dem "statischen Kenterwinkel" beginnt sowas wie die Stabilitätsreserve für heftige Böen. Die sollte man wohl besser für den Fall der Fälle schonen. Aufrecht segelt es sich ohnehin schneller - auch wenn es nicht so schön dramatisch aussieht.
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GZ-Kurve mit Kenterwinkeln
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