In letzter Zeit wird das Wort "Intelligenz" allen möglichen Lebensbereichen zugeschrieben. Man spricht von intelligenten Rechnersystemen und von intelligenten Problemlösungen. Journalisten, Werbetexter, und natürlich auch Politiker können auf das Wort nicht verzichten und schreiben es allen möglichen Begriffen zu. Wer das Schicksal erleidet, dass ihm dieses Adelsprädikat komplett abgesprochen wird, ist arm dran. Folgerichtig hat das DFB-Sportgericht vor fünf Jahren den Bundesligaspieler Arjen Robben zu 15.000 Euro Geldstrafe verdonnert und ihn für zwei Spiele gesperrt, weil er einen Schiedsrichter "Vollpfosten" nannte. Das Wort ist, so befand das Gericht, eine Beleidigung. Das kann zutreffen, denn bei dem Begriff "vermutet (man) eine Bezugnahme auf die intellektuellen Fähigkeiten des
Bezeichneten, die nicht größer seien als die eines stehenden Holzstücks" (WIKIPEDIA).
Womit wir beim Thema angekommen sind.
Seit letzter Woche liegt ein veritabler Baumstamm auf dem Bohlwerk. Er ist der Rest einer stattlichen Douglasie, die zusammen mit den Bäumen für den Historischen Krahn gefällt wurden und der nun seinen vorläufigen Lagerplatz auf der hölzernen Anlegebrücke im Historischen Hafen gefunden hat. Dort soll er bis zum nächsten Frühjahr liegen, bis er zum Hauptmast von
RYVAR, dem roten Logger im Museumshafen bearbeitet wird.
Wer als Passant vor diesem Trumm von Baumstamm steht und einen Blick über die Schulter auf den Großmast der RYVAR wirft, wird sich möglicherweise wundern, warum man keinen schlankeren Baumstamm gewählt hat. Schließlich wird es eine Menge Kleinholz und Späne zu hobeln geben, bis der Mast fertig ist. Aber Bäume haben nun mal ihr eigenes Maß und wer eine bestimmte Stammlänge sucht, bekommt auch einen entsprechenden Durchmesser. Die Maße für den neuen sind schließlich durch den vorhandenen Mast vorgegeben.
RYVAR hat einen
geteilten Großmast. Dabei trägt der so genannte Untermast ab dem
Eselshaupt zur Verlängerung eine Stenge. Während am Untermast das Gaffelsegel, das Focksegel und der Klüver befestigt sind, kann an der Stenge das Toppsegel (über dem Gaffelsegel) und vorne der "Flieger" befestigt werden.
Alles zusammen wirken mit starker Kraft aus wechselnden Richtungen auf den Untermast. Der muss so stark sein, dass er sein eigenes Gewicht plus einen Teil der nach unten gerichteten Kräfte der Segel (Fallen und Vorlieken) und der so genannten Verstagung aufnehmen kann. Zur Seite wird er durch die (seitlichen) Wanten und nach vorne durch die Stagen gestützt. Nach hinten wirken die Achterwanten und das Segel samt Schot, sofern es gesetzt ist. Dazu kommt die Wirkung der Stagen, Wanten und Pardunen an der Stenge. Das klingt kompliziert und ist es auch, wenn man die beim Segeln tatsächlich auftretenden Kräfte genau berechnet. Das konnte man vor 100 Jahren, als RYVAR gebaut wurde noch nicht genügend genau. Aber es gab die Erfahrungen aus dreitausend Jahren Holzschiffsbau. Die Bootsbauer damals waren auch schon intelligent und haben vorsichtshalber alle Bauteile nach Erfahrungswerten mit gesundem Holz etwas stärker ausgelegt.
Intelligent waren auch die Schipper, wenn sie ihre Masten auf rotte Stellen geprüft haben - woran auch der Historische Krahn von 1726 am Bohlwerk erinnert. Hier wurden neue und reparierte Masten in den Rumpf gesetzt und alte gebrauchte für die Kontrolle, Pflege und Reparatur gezogen.
Ohne dies wären schon damals Schipper und Masten nichts Anderes gewesen als - Vollpfosten.
Mancher wird sich beim Blick über die Schulter auf RYVAR fragen, warum auf dem Bohlwerk nur ein Baumstamm liegt, schließlich hat der Logger ja zwei Masten? Nun, der hintere Mast ist bei diesem Schiff aus Stahl und ein Rohr, das zugleich auch als Auspuff der Schiffsmaschine dient. Die war ursprünglich nicht vorgesehen und wurde erst elf Jahre später eingebaut. Der Holzmast wurde erst vor etwa 15 Jahren durch das dem heutige Stahlrohr ersetzt. Historische Vorbilder für Holzmasten als Auspuff fehlen naturgemäß. Hohle Mastkonstruktionen aus Holz gibt es jedoch schon sehr lange auf Jachten, aber dort werden sie nicht als Auspuff benutzt. Man macht sie hohl, um Gewicht zu sparen und ihre Biegsamkeit zu kontrollieren. Ganz schön intelligent, sind ja auch Hohl- und keine Vollpfosten.
Früheste Nachweise für Besanmasten aus Stahl, die zugleich auch Auspuff sind, stammen aus den 20-er Jahren und sind beispielsweise auch von von Colin Archer Rettungsbooten belegt. Der erste Rettungskutter dieser Art war die RS36 ANDREAS AARÖ, gebaut 1930 in Moen.)
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RYVARs neuer Großmast im Rohzustand. Im Vordergrund der Flaggenstock von Mejsen. Das graue Rohr rechts unten ist Teil der Zeltkonstruktion für die Winterplane. |