10.12.16 Über Los- und andere Kiele


Zur Zeit sind die Teilnehmer der Vendee Globe beim Rennen der Einhandsegler rund um die Welt unterwegs. Die Yachten der Teilnehmer sind nach dem höchsten Standard der Ingenieurskunst entworfen, gebaut und ausgerüstet. Bestimmt doch schließlich Platz und Sieg der Teilnehmer auch über das Rennomme der Sponsoren.
Da fällt schon auf, dass ein Teilnehmer in arge Bedrängnis geriet, nachdem seiner Yacht bei den Crozetinseln  der Kiel abriss. Ursache der Havarie war vermutlich Treibgut im Wasser. Glücklicherweise hat der Extremsportler die Havarie unbeschadet überstanden. Aber er musste das Rennen abbrechen.

Zu der Erleichterung darüber, dass der Segler mittlerweile in Sicherheit ist, gesellt sich unmittelbar der Gedanke "Was passiert eigentlich, wenn du mit deinem Langkieler auf ein schweres Treibgut im Wasser aufrennst"?


Abgesehen davon, dass bei dem Unglück im Indischen Ozean ein ausgewachsener Sturm mit acht
bis neun Beaufort und fünf bis sechs Meter hohen Wellen herrschte und die Rennyacht sicherlich schneller war, als Langkieler jemals sein werden: Es gibt einige Fälle, von denen wir in den HAFENMELDUNGEN bei früheren Gelegenheiten berichteten wenn Traditionssegler durch treibende Gegenstände verloren gingen oder schwer beschädigt wurden. Beispielsweise sank der Kutter OLGA im Jahr 2013 und die Ketsch RAKEL wurde ein Jahr danach leckgeschlagen. In beiden Fällen könnten treibende Objekte eine Kollision verursacht haben wobei Planken leck gesprungen sind.
Der Entwurf von Colin Archer aus dem Jahr 1899 war offensichtlich
von der Kurve einer Parabel inspiriert. WIEBKE BOHLEN hat sowohl
einen Ballastkiel (sechs Tonnen) als auch Innenballast (eine Tonne)
aus Blei.
FRIEDA wurde mit Pallhölzern und Keilen angehoben, um den
Kiel ausbauen zu können.
Denn wo sich die moderne Regattayacht den Kiel abreisst, wenn sie vierkant aufrennt, rammt sich der Langkieler eher wie ein Motorboot auf das halb getauchte Hindernis oder rutscht vielleicht sogar darüber hinweg. Das ist um so eher wahrscheinlich, je runder der Vorsteven ausgeformt ist. 

Ob neuzeitlich oder traditionell gebaut: Es ist ein schwerer Schock für das ganze Boot. Auch die Crew wird das nicht mit einem Achselzucken abtun. Nur mit Glück bleibt es bei ein paar Schrammen oder Prellungen. Denn Boot und Inhalt folgen dem Energierhaltungssatz und bewegen sich solange in die selbe Richtung, bis ihre Bewegungsenergie durch Reibung oder Verformung aufgebraucht ist. Bei einem modernen Kurzkieler reisst dann schon mal der Kiel ab und kurz danach auch das Ruder. Bei einem Langkieler werden Totholz und Kielsohle zerspant, während  wenn sich alle Planken, Spanten, Stringer und Weger elastisch verformen wenn sie aneinander reiben. Auch das Rigg leistet einen Teil der Impulsumwandlung indem es nach oben und vorne beschleunigt und dabei an Wanten und Stagen zerrt. Schlimmstenfalls gibt es Bruch, Planken bersten und der Mast bricht.

Wie im Schlussverkauf: "Alles muss raus"
Hier wird der Loskiel zwischen den Auflagen in Stückenausgebaut.
Der Kiel ist noch an seinem Platz. Auch die Bodenwrangen sind
noch an Ort und Stelle.  Aber nicht mehr lange.

Wer sich dieses Drama bildlich und in Zeitlupe vorstellt, wird den  Wunsch verstehen, "immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel" zu haben. Der Kiel trägt nämlich in diesem Ablauf die Hauptlast. Während seine Oberfläche durch die Reibung am Hindernis  zerfasert, zerren Steven, Kielbolzen, Balkweger, Spanten und Mast ihn weiter in die bisherige Richtung. Selbst wenn das Boot die Havarie übersteht, ist der Besuch einer Werft eine der nächsten Stationen auf der Reise. So ist es auch einer renommierten traditionellen deutschen Kreuzeryacht geschehen, deren Ballastkiel im Herbst nach einer heftigen Grundberührung beschädigt wurde. Dazu brauchte sie nicht einmal bis zum südlichen Indischen Ozean reisen. Sie hatte die Havarie gleich hier vor der Haustüre. 

Traditionelle Kielyachten unterscheiden sich von traditionellen Arbeitsbooten auch und besonders durch den Kiel. Sie haben zumeist unter dem eigentlichen Kielbalken ein zusätzliches Gewicht angebolzt. Dieser "Außenballast"  richtet das Boot auf, wenn es sich unter dem Druck von Wind und Wellen überlegt. Klassische Arbeitsboote dagegen tragen ihren Ballast zumeist innen über dem Kiel, zumal ihnen ihr fülliger Rumpf ein zusätzliches aufrichtendes Moment spendiert.

Dieser Eisenschrott war bis dahin der Innenballast eines Traditions-
seglers.
Neben der Aufgabe das Schiff aufzurichten, hat der Kiel eine weitere wichtige Funktion. Während der seitliche Winddruck das Boot quer durchs Wasser schiebt, strömt es um den Rumpf herum. Dadurch fährt ein segelndes Boot immer auch etwas quer zur Richtung, in die der Rumpf weist. Dieser Effekt, Abdrift genannt, ist um so größer, je kleiner die so genannte Lateralfläche ist. Diese kann man durch die Kielfläche vergrößern. Deshalb haben Bootsbauer schon früh begonnen, Balken unter dem eigentlichen Kiel zu befestigen. Sie werden gemeinhin "Loskiel" oder Totholz genannt. Ohne sie wäre mancher Weg durchs Wasser erheblich länger.

Der Ballast der Kielyachten besteht häufig aus Gußeisen, bei manchen auch aus Blei.
Das Totholz umfasst den Ballastkiel vorne und achtern. Hinter
der Zarge des Slipwagens ist eine Ecke des Bleiballastes zu
sehen, wenn man genau hinsieht. 
Wegen des ca. 60% höheren Gewichts hat ein vergleichbarer Bleiballast eine kleinere Oberfläche und daher weniger Strömungswiderstand im Wasser. Innenballast aus Blei benötigt weniger Platz als Gusseisen und kann außerdem nicht rosten. Es verträgt sich auch mit Eichenholz besser als Gusseisen oder Stahl. Früher fuhren Arbeitssegler einen Innenballast aus Felsbrocken- Diese mussten sorgfältig gestaut und verschalkt werden. Später hat man es sich einfach gemacht und den Kielraum mit Zement ausgegossen. Wer losen Innenballast im Schiff fährt, kann ihn zur Kontrolle hochnehmen und beginnende Schäden erkennen und folgerichtig auch beseitigen. Bei Beton bleibt nur die Kontrolle von außen, wenn auf der Helling das Bilgewasser tagelang durch die Plankenfugen sickert. Das geht gut solange es gut geht, aber irgendwann nimmt der Kiel übel und beginnt zu rotten. Man sagt dann "der Rumpf zieht Wasser" und baut eine zusätzliche Lenzpumpe ein.

Früher oder später kommt dann der Tag, an dem der Kiel getauscht werden muss, um das Boot zu erhalten. Mittlerweile sind meist auch schon der Vor- und Achtersteven, die Kniehölzer und Bodenwrangen angegriffen. Auch einzelne oder mehrere Spanten können im Kielbereich nach neuem Holz verlangen. Wie umfangreich der Schaden ist, lässt sich im voraus meist nicht genau sagen. Das volle Ausmaß sieht man erst, wenn alle defekten Hölzer sichtbar und ausgebaut sind. Nur um die Planken muss man sich glücklicherweise keine besonderen Gedanken machen. Sie überleben die folgende Reparatur ohnehin nur als handliches Kleinholz.

Man muss sein Boot schon sehr mögen, um ein solches Projekt zu beginnen. Wer noch auf der Suche nach einem schönen traditionellen Arbeitsboot oder einer konventionell gebauten Kielyacht ist, sollte deshalb auch den Kielbereich des Objekts der Begierde besonders genau ansehen und im Zweifelsfall dem Angebotspreis in Gedanken gleich den Aufwand für eine derartige Reparatur hinzufügen.