27.07.13 Ein bisschen Venedig...

Flensburg ist die Stadt der Visionäre. In nahezu regelmäßigen Abständen
werden Visionen von Flensburgs Zukunft geboren. Vor ein paar Jahren wurde das mal griffig zu einem Slogan verdichtet. "Ein bisschen Paris, ein bisschen London, ein bisschen Kopenhagen". Es ist bekanntlich nicht dazu gekommen. Jedoch könnte man mit einiger Berechtigung den Vergleich mit Venedig wagen. "Flensburg - das Venedig des Nordens" Aber Vergleiche können hinken. Schließlich hat Venedig mehr Kanäle und - weniger Ratten.


Wer die Menschen auf dem Bohlwerk betrachtet sieht viele, Groß und Klein, mit Fischbrötchen und "plop-plop" einem Getränk in Bügelflaschen. Es ist heiß und der Mensch muß trinken. Kleine Kinder krabbeln um die Beine der Eltern auf den alten Planken. Junge Erwachsene liegen auf dem Bohlwerk und genießen ihren Imbiss.
Was verwundert ist, dass die Hälfte von ihnen nicht auf die Schiffe und den Hafen blickt. Statt dessen hängen sie über dem Geländer und zeigen auf die Steinschüttung der Werft. "Da ist wieder eine!" "Die da kann schwimmen!" hört man rufen. Das macht neugierig. Also nix wie hin und auch geguckt. "DA!" ein kleiner Junge zeigt auf ein possierliches Tierchen mit braunem Fell und langem Schwanz.
Es sind Ratten, deren Treiben die Gäste der Fischhütte so fasziniert. Es gibt kleine ("Ach sind die süüüß!") und große ("Ihhh!"). Manche sind zutraulich und laufen auf das Bohlwerk, wo sie auch gerne von Gästen der Fischhütte gefüttert werden. Man kann die possierliche Kreatur doch nicht darben lassen, wenn's einem selber gerade gut geht.

Leider birgt auch diese Idylle Gefahren. In diesem Fall sind es Infektionen, die von den Nagern verbreitet werden. Hier ein - sicherlich unvollständiger Katalog der übertragenen Krankheiten. Es sind zunächst einmal:

Die Weil-Krankheit, die in zehn Prozent der Fälle zum Tode führt. Sie ist meldepflichtig. Sie wird über die Luft, die Haut und die Schleimhäute aufgenommen. Über den Krankheitsverlauf informiert Wikipedia:

 "... (er) ist typischerweise in zwei Phasen unterteilt, wobei sich der Verlauf je nach Abwehrlage und Serotyp des Erregers sehr unterscheiden kann. Die erste Phase beginnt mit schlagartig einsetzendem hohen Fieber und unspezifischen Symptomen wie Kopf- und Gliederschmerzen, die leicht mit grippalen Infekten zu verwechseln sind. Bei ausbleibender Therapie und begünstigt durch den Serotyp L. icterohaemorrhagica kann es nach kurzer Entfieberung in der zweiten Phase, dem sogenannten Immunstadium, zu schwerwiegenden Organkomplikationen kommen. Teils durch den Erreger selbst, teils durch Immunreaktionen treten Gelbsucht, Hirnhautentzündung, Nieren- oder Herzentzündungen auf (das ursprünglich als M. Weil bezeichnete Krankheitsbild). Die Letalität beträgt bis zu 10 %."
Die Infektion wird über den Urin und den Kot der Ratten verbreitet, den sie zur Markierung ihrer Reviere ständig von sich geben. 
Außerdem berichtet Die Welt am 08. Mai 2008 über weitere Krankheiten, die von Ratten verbreitet werden wie die Listeriose (Todesrate 30%), Q-Fieber (10%), Hanta Virus, Eschericia coli ("Montezumas Rache"), Yersinia pestis ("Die Pest"). Die dort genannten Leptospiren sind die Erreger der oben genannten Weil-Krankheit.

Das Problem ist nicht neu in Flensburg. In einem Bericht des Flensburger Tageblatt vom 13. August 2010 "Pelzige Nager auf dem Vormarsch" wird über die Plage damals berichtet: "Sie sind gar nicht scheu. Angstfrei gar. Pelzige Nager huschen wie selbstverständlich am Bohlwerk über die Sandalen von Touristen - und sind schon wieder verschwunden." Das hat sich bis heute nicht geändert. Als hauptsächliche Ursache der Verbreitung wird der sorglose Umgang mit Essenresten genannt. Das ist heute auch noch so. Leider auch, dass niemand etwas dagegen unternimmt. Das kann auch damit zusammenhängen, dass zum Wohle des Tierschutzes nur staatlich zertifizierte Personen Ratten bekämpfen dürfen.
Noch mal zurück zu den Visionen: Aus London und Paris ist bekannt, das beide Städte Probleme mit den Ratten haben, aber dort wird was dagegen unternommen. Aus Kopenhagen konnte nichts dergleichen gegoogelt werden. Vielleicht gibt es dort keine Ratten (welch schöne Vision!) oder man tut nichts dagegen. Dann hat sich die Flensburger Vision in dem Punkt ja schon erfüllt. Schön ist auch, dass zahlreiche Touristen die Ratten mit ihren Handies fotografierten und an ihre Freunde sandten. Sowas freut doch jeden Tourismus-Manager. Schließlich geht nichts über ein Alleinstellungsmerkmal.

PS: Die Fotos wurden heute um 16.00 Uhr auf dem Bohlwerk gemacht. Dort konnten wir in fünf Minuten acht große Ratten und einige Rattenkinder zählen.