20.10.17 Kaltwasserschock

Mittlerweile wird das Wetter herbstlich. Es sind nur noch zehn Stunden zwischen Sonnnenauf- und Untergang. Und heute war die Sonne ständig hinter dicken Regenwolken verborgen. 
Kein Wunder, dass die Wassertemperatur im Hafen und in der Förde nur noch 14 Grad erreicht. Wer jetzt abgehärtet ist, kann sich auf eine Saison mit Winterschwimmen vorbereiten. Dieser Sport soll gesund sein liest man schaudernd und es werden sogar Meisterschaften in dieser Disziplin ausgetragen.
Allerdings dauert sowas meist nur eine Minute oder auch mal zwei. Und der Kopf kommt schon gar nicht unter Wasser. Oder man schwimmt oder badet im Schutz von Neopren-Anzügen.
Ganz anders sind die Verhältnisse, wenn jemand unvorbereitet ins kalte Wasser fällt und dort minutenlang mehr oder minder untergetaucht treibt oder schwimmt. Schon bald droht Unterkühlung und mit ihr Lebensgefahr. 
Wer jetzt noch segelt, ist gut beraten, alles Mögliche zu tun, um an Bord zu bleiben. Mann-über-Bord Manöver machen sich prima im Sommer, bei warmem Wasser, lauem Wind und genügend erfahrenen Helfern an Bord. Bis zum kommenden Sommer (wenn er denn kommt) fehlen diese Voraussetzungen. 

Auf der Suche im Internet nach Verhaltensregeln bei Unterkühlung durch kaltes Wasser fanden wir viele qualifizierte Beiträge. Die meisten befassen sich mit Unfällen an Land, nahezu alle setzen voraus, dass innerhalb Minuten erfahrene Rettungskräfte vor Ort sind. Das hilft uns Seglern im Winter nicht wirklich weiter. 


Schließlich fanden wir den amerikanischen Blog "Soundings". Darin befasst Mario Vittone, ehemaliger Rettungsschwimmer der Coast Guard, in mehreren Beiträgen ausschließlich mit diesem Themenschwerpunkt. Um besser zu verstehen worüber er schreibt, hat er sich unter Beobachtung in Selbstversuchen bis an den Rand der Bewusstlosigkeit gewagt. Wir haben einzelne in Auszügen übersetzt. Er schreibt darin, was er Kursteilnehmern zu dem Thema vortrug. Ein Artikel befasst sich damit, was mit einem Menschen geschieht, der sich plötzlich in kaltem Wasser wiederfindet:
Unterkühlung; Mythen und Wahrheiten über Kaltes Wasser                                                                                                    Das Meiste, was sie über Unterkühlung wissen, trifft nicht zu. Man kann nicht in weniger als zehn Minuten noch nicht einmal schwach unterkühlen (Anm.: Das entspricht einer Bluttemperatur von unter 35°C). Der durchschnittliche Erwachsene kann länger als eine Stund in kaltem Wasser überleben. Und wenn wir schon mal dabei sind: Man verliert nicht 80 Prozent der Körperwärme über den Kopf.  
Um die Gefahren durch Kaltes Wasser zu verstehen, muss man aufhören an Unterkühlung zu denken und beginnen an die vier Gefahren von zufälligem Eintauchen in kaltes Wasser zu denken. Tatsache ist, das klates Wasser tötet, aber Unterkühlung ist nur eine seiner Wirkungen und die ist nicht einmal die häufigste. Wenn Sie in kaltes Wasser eintauchen, geschehen vier Sachen mit Ihrem Körper, die sie verstehen müssen. 
Reaktion auf den Kälteschock Das ist die erste Phase beim Eintauchen in kaltes Wasser. Es ist ein Zustand von erhöhtem Herzschlag und Blutdruck, unkontrolliertem Schnappen nach Luft und manchmal unkontrollierten Bewegungen. Sie dauert zwischen 30 Sekunden bis zu einigen Minuten und kann bereits tödlich sein. Tatsächlich, schätzt man, dass von allen Menschen die in kaltem Wasser sterben, zwanzig Prozent die ersten zwei Minuten nicht überleben. Sie ertrinken, sie geraten in Panik, sie atmen bei ersten unkontrollierten Keuchen Luft ein.. Wenn sie Herzprobleme haben, kann der Schock eine Herzattacke auslösen.Ob sie diese Phase überleben hängt davon ab, ob sie die Atmung unter Kontrolle bekommen, dass sie sich bewusst werden, dass diese Phase vorübergeht und dass sie ruhig bleiben.
Entkräftung durch Kälte Als häufigsten Grund, warum sie keine Rettungsweste tragen, nennen Bootsleute, dass sie ja schwimmen könnten. Hör' zu Tarzan: Ich schwamm berufsmäßig den größten Teil meines Lebens als Erwachsener und wenn das Wasser kalt ist (unter 15°C) kann keiner von uns sehr lange schwimmen.Die zweite Phase, wenn sie in kaltes Wasser eintauchen, wird Entkräftung durch Kälte genannt. Fehlt ausreichende Wärmeisolierung, hilft sich der Körper selbst. Lange bevor Ihre Körpertemperatur um ein Grad absinkt, verengen sich die Adern in den Gliedmassen (das sind die Körperteiel, mit denen sie schwimmen). Sie verlieren die Kontrolle über ihre Hände und die Muskeln in Armen Beinen erschöpfen, versagen, sie über Wasser zu halten. Ohne irgend eine Art Auftriebshilfe wird auch der beste Schwimmer unter uns in weniger als 30 Minuten in kaltem Wasser ertrinken. Ohne dass die Kerntemperatur sinkt, sterben mehr als 50 Prozent der Menschen, weil sie durch die Entkräftung ertrinken.  
Überlebensdauer nach Geschlecht und Körpergewicht. Quelle: Soundings  
Unterkühlung Unterkühlung kann töten, aber das geschieht nur in 15 Prozent der Todesfälle in kaltem Wasser. Sie müssen irgendeine Art Schwimmhilfe habe, um überhaupt unterkühlen zu können und das dauert viel länger, als sie denken. Wir sind in dieser Hinsicht alle unterschiedlich, ich verbrachte einmal in Straßenkleidung eine Stunde lang in sieben Grad kaltem Wasser und meine Kerntemperatur war nur weniger als zwei Grad gesunken. Ich war nicht klinisch unterkühlt. Es war gewiss ungemütlich und ich möchte Ihnen nicht empfehlen, Ihre eigene Grenze herauszufinden. Aber es hätte vermutlich noch eine weitere Stunde bis zur Bewusstlosigkeit gedauert und eine weitere Stunde um meine Kerntemperatur unter den Punkt ohne Wiederkehr sinken zu lassen.Die Körperreaktionen um ihren Kern warm zu halten - Blutgefäßverengung und Zittern - sind überraschen wirksam. Zittern und verminderter Blutaustausch sind so effektiv, dass ich zwanzig Minuten nachdem ich reingesprungen bin, 37,8°C auf dem Fieberthermometer hatte. 
Bergungstod Ich habe die Zahl der Überlebenden vergessen, die ich hinten im Hubschrauber genervt habe, weil ich sie nicht sterben lassen wollte. Ich hatte eine Regel: Wenn sie aus einer Kaltwasser-Umgebung kamen, lagen sie flach und blieben flach liegen, bis der Arzt in der Notaufnahme sagte, dass sie aufstehen können. Es war mir egal, wie gut sie sich fühlten oder wie warm zu sein sie glaubten, denn was sie endgültig umbringt ist der Bergungstod. Kurz bevor, während oder danach, manchmal Stunden später, verlieren die in kaltes Wasser eingetauchten Opfer das Bewusstsein, erleben Herzkammerflimmern oder einen Herzstillstand. Unterkühlung bewirkt bewirkt mehr als dass alles kälter wird. Die Opfer reagieren eine Zeitlang physiologisch anders. Eine Sache die sich ändert ist die Herzfrequenzvariabilität. Mit anderen Worten, die Fähigkeit des Herzens schneller oder langsamer zu schlagen wird durch die Kälte betroffen. Hoch zu kommen und sich zu bewegen verlangt vom Herz eine größere Menge Blut zu pumpen und aufrecht und aus dem Wasser zu sein ist ebenfalls anstrengend. Dann brechen andere Faktoren zusammen und das Herz beginnt zu flattern anstatt zu pumpen - und schon gehts mit Dir abwärts. Opfer einer Kaltwasser-Immersion sind sowohl glücklich, überlebt zu haben und sehr anfällig. Bis alles wieder aufgewärmt ist, muss genügen aus dem Wasser und trocken zu sein. Mobilität muss warten.
Wenn Sie hier nur irgend etwas Neues gelernt haben nutzen Sie es hoffentlich für gute Entscheidungen, wenn es darum geht an und auf kaltem Wasser sicher zu sein. Überlegen sie vernünftiges Verhalten wie:
  1. Bei Arbeiten an Deck bei Wassertemperaturen unter 15°C immer Rettungswesten tragen
  2. Wenn sie Zeuge eines Mann-über-Bord sind, bringen die den Rettungsrind unmittelbar zu der Person. Das ist äußerst wichtig. Lebensnotwendig. Schritt eins. Unbedingtes Muss.
  3. Stellen Sie sicher, dass ihr Rettungsring nicht nur einfach an Bord ist, sondern sofort einsatzbereit  und nicht an der Halterung festgebunden.
  4. Tragen Sie immer wenn Sie bei kaltem Wasser an Deck arbeiten, eine Rettungsweste. Sagte ich das nicht bereits? Nun wenn ich keine Artikel mehr lese, die damit enden, dass erfahrene Seeleute starben, weil sie glaubten etwas von kaltem Wasser zu verstehen, lasse ich mir bessere Ratschläge einfallen.
P.S. In allen Artikeln wird gewarnt, dass Alkohol die Gefahr durch Unterkühlung stark vergrößert.