29.05.17 An der Kaikante gesehen

Die Rumregatta ist vorbei, aber an der Kaikante liegen noch Teilnehmer des großen Treffens ehemaliger Gebrauchssegler in Flensburg. Jetzt, wo der Gaffelmarkt bereits abgebaut ist, sind weniger Passanten unterwegs und es bleibt mehr Zeit, die Schiffe mit ein wenig Muße zu betrachten.


Da fällt zum Beispiel der Lägerdorfer Frachtewer MELPOMENE aus dem Jahr 1895 mit seiner sehr individuellen Ruderanlage auf.
Ewer waren früher die Kleintransporter auf den Küstenmeeren und Flüssen. Sie transportierten alles, was heute mit mittleren LKW über Land transportiert wird und die Straßen verstopft. Sie mussten nicht modisch oder modern sein, sondern nur einfach zu betreiben und vor allen Dingen nicht mehr Geld kosten, als die Frachtraten hergaben. Es könnte der Kostendruck gewesen sein, der die Eigner zu einer interessanten technischen Lösung angeregt hat. Denn wie sonst sind sie auf die Idee gekommen, das Radruder mit (vermutlich auf dem Schrottplatz gefundenen) Teilen einer LKW Achse samt Kardanwelle und Hinterachsgetriebe einzubauen?

In der Nähe hat der schmucke Schoner ANNY aus Glückstadt mit dem Rumpf
eines Haikutters von 1930 festgemacht. Sie war schon öfters in Flensburg, auf Rumregatten mit dem Namen FIDDLERS GREEN. Als LINA gehörte sie zum Museumshafen, wie auch jetzt wieder. An Deck und im Rigg ist oder wirkt vieles neu. Am ebenfalls sorgfältig gemalten Rumpf fällt die unebene Oberfläche auf. Hätte man die nicht auch mal glatt hobeln können? mag sich mancher Betrachter denken. Nein, hätte man nicht. Denn die etwas wellig wirkenden Planken sind gesund, aber von Alter und Gebrauch gezeichnet. Was erneuert werden musste, wurde erst vor Kurzem neu eingebaut. Diese Planken sind an ihrer glatten Oberfläche zu erkennen. Da sie noch so dick sind, wie die alten Planken einmal waren, ragen ihre Kanten über die "alte" Oberfläche hervor. In einigen Jahren wird der Unterschied weniger werden.

Gebrauchssegler wurden während ihrer Berufszeit mit kleiner Mannschaft
gefahren. Entsprechend leicht mussten sie zu bedienen sein. Wenn zum Beispiel nach dem Ankern der "Haken" gesichert werden musste, damit er nicht frei baumelnd den Rumpf dengelt, war das eine mühselige und kräftezehrende Angelegenheit. Oft musste es zudem schnell gehen, weil das Schiff während des Manövers durch Strömung oder Wind auf eine Untiefe oder andere Gefahren vertrieben wurde. Da hatten sich die Eigner der DE ALBERTHA von 1891 aus Lemmer eine sehr elegante Lösung einfallen lassen. Durch den Stock und den Steven geleitet, gleiten die Flunke unter den simplen Steg aus Flachstahl und sitzt sogleich sicher und bereit für das nächste Ankermanöver. Einfacher geht es nicht!

Segeln mit Rahseglern benötigt besonders viel Handarbeit. Nicht nur unterwegs,
sondern auch in den Häfen muss das Rigg sorgfältig auf mögliche Schäden untersucht und fachgerecht repariert werden. Deshalb wurden Schiffe mit dieser Segelführung meist auf Langstrecken eingesetzt. In engen Revieren, wo Segelmanöver häufig nötig sind, sind Schoner, Ketschen oder Kutter zweckmäßiger. Der Topsegelschoner ACTIV verbindet die Vorteile beider Riggforman miteinander, aber auch die Nachteile. Heute konnten wir sehen, wie zwei Matrosinnen im Rigg arbeiten. Kein Job für Angsthasen oder Draufgänger, muss man vermuten. Im Zirkus müsste man für die artistische Darbietung Eintritt zahlen. Heute an der Kaikante muss man nur den Blick vom Smartphone lösen und nach oben blicken.