21.05.17 Segeln vorm Wind

Die Wettervorhersage schien vormittags noch einzutreffen. Sie versprach SW 2-3, nachmittags auf West drehend, zunehmend 3-4, Böen fünf.
Wie oft, war der Wind im Flensburger Hafen etwas schwächer. Deshalb starteten wir mit unserer üblichen Segelführung für Kurse vorm Wind mit Klüver, Fock, und Groß. Zwar ziehen wir bei achterlichem Wind vor backstags zu kreuzen. In der engen Hafenmündung fehlt dafür jedoch meist der Platz und halsen dicht an der Kaimauer inmitten Pulks von sportlich gesegelten Yachten ist auch nicht mehr unsere erste Wahl. Bei diesem Kurs zum Wind lassen wir den Besan gerne weg. Er verstärkt nur die Neigung zum Anluven durch das weit ausgebaumte Großsegel. Zum Ausgleich müsste dann mehr Gegenruder gelegt werden um das Boot auf Kurs zu halten. Dadurch wären wir im Ergebnis trotz größerer Segelfläche langsamer als ohne. Dass sich die Vorsegel im Windschatten des Groß die Langeweile gelegentlich durch unkontrolliertes Flattern vertreiben ist dennoch kaum zu vermeiden. Das ist wohl auch der Grund für einige moderne Slups die sich nur von der großen Genua als einzigem Segel schleppen lassen. Für uns scheidet diese Variante der Segelführung aus naheliegendem Grund aus. Um eine genügend große Segelfläche zu bekommen müssten wir so etwas  wie einen Spinnacker von über 100 Quadratmetern setzen. Dann sind wir doch leiber etwas langsamer. Falls wir längere Zeit vor dem Wind segeln müssen, würden wir stattdessen nur das Großsegel setzen und Toppsegel dazu. Bei dem nach Vorhersage schwachen Wind gäbe das auch genügend Vortrieb. Auf dem Weg zur Hafenausfahrt wartet aber eine wichtigere Aufgabe. An Deck liegen noch die Tauhaufen der Klau- und Piekfallen. Die sind auf traditionellen Booten immer um ein mehrfaches länger als auf modernen, die das Großsegel mit einer Fallwinsch setzen.

Kaum ist die engste Stelle erreicht, kommt RYVAR, die große Rote aus dem Museumshafen von achtern auf. Wir machen einen leichten Schwenk nach Backbord um sie auf unserer rechten Seite überholen zu lassen. Das gibt uns mehr Raum und eine günstigere Position wenn der Südwestwind, von dem hohen Werftgebäude gelenkt, weiter auf West dreht.

Bald sind wir vor dem Hafen angekommen und haben jetzt RYVAR in Lee voraus. Nun dreht der Wind auf Süd. Wir folgen der Drehung und sehen uns plötzlich als Überholer, weil auf RYVAR der sehr leise Motor abgestellt wurde, den man bis dahin zusätzlich zu ihren Segeln nutzte. Also lassen wir alles so, wie es ist und entscheiden uns, vor dem Wind zu kreuzen. Dafür wird zusätzlich der Besan gesetzt. Jetzt luvt das Boot an, wie erwartet, und wird schneller. Bald nähern wir uns dem dänischen Ufer bei Fackelgarden. RYVAR segelt auf Steuerbord achteraus. In Ufernähe bekommen wir die Rechung für's kreuzen vor dem Wind präsentiert. Wir müssen die Segel schiften und RYVARs Kurs queren, die weiterhin genau vor dem Wind parallel zum Ufer segelt. Jetzt, auf Backbord-Bug, halten wir auf das entfernte deutsche Ufer zu. Als wir uns in Höhe Glücksburg wieder der Tiefenlinie von zehn Metern nähern und die Segel erneut auf die andere Seite bringen, verschwindet RYVAR ein paar Meilen weiter westlich aus unserer Sicht. Sie hat die schmale gewundene Durchfahrt zwischen Sönderhav und den Ochseninseln gewählt. Wer wird wohl schneller bei Holnis Enge ankommen: RYVAR auf kürzestem Weg platt vor dem Wind oder wir mit zwei langen Kreuzschlägen auf längerer Strecke, aber schneller segelnd?




Wir haben Zeit, uns ein wenig umzusehen. Da entdecken wir zwei Regattafelder genau voraus. Mit knatternden Segeln und mit laut spudelndem Kielwasser rauschen uns 49-er Rennboote entgegen, andere kommen von achtern auf. Mit ein bisschen Glück und Vorausschau können wir allen Sportfreunden den Weg freimachen. Ist schon beachtlich, wie diese leichten Rümpfe von den großen Spinnackern über das Wasser geschleppt werden. Kaum ist das Spektakel vorbei, sehen wir voraus eine besonders reizvolle Begegnung zweier traditioneller Segelschiffe, die nicht unterschiedlicher sein können als RYVAR, der alte Frachtsegler und SPHINX, die halb so alte 12mR Regattayacht.
RYVAR (li.) und SPHINX auf kreuzenden Kursen
Je weiter wir nach Norden kommen, um so mehr nimmt der Wind zu. Was als "Böen um fünf Bft" angekündigt wurde ist mittlerweile als frischer bis starker Wind angekommen, plus zusätzlicher Böen. Entsprechend gut kommen wir jetzt voran. Bald sind wir RYVAR wieder nahe gekommen. Da wir in der Inneren Förde bleiben wollen, können wir noch höher an den Wind gehen. Dicht bei RYVARs Heck wenden wir und nehmen auf Kurs Flensburg. Nach etlichen Kreuzschlägen bei starken Wind sind wir wieder in der Hafeneinfahrt. Hier noch fünf weitere Wenden und wir sind wieder dort, wo unser Ausflug vor sechs Stunden begann.

Fazit:
Platt vor dem Wind segelnd hätten wir RYVAR nicht eingeholt. Vor dem Wind zu kreuzen hat Vorteile, weil der segelbare Bereich erheblich größer ist. Das hilft, wenn der Kurs schnell angepasst werden muss, was genau vor dem Wind segelnd oft zu einer Patenthalse und Bruch führen kann.
Außerdem ist man schneller als unmittelbar vor dem Wind. Und schließlich ist das Risiko einer Patenthalse erheblich geringer; auf einen Bullenstander verzichten wir deshalb schon seit Jahren.
Bei viel Wind und kleiner Mannschaft benötigt man genügend Raum für das Schiften der Segel, weil das Boot sehr stark anluvt, wenn die Schoten von Besan und Groß (in dieser Reihenfolge) vor der Halse dichtgeholt werden. Aber das ist unmittelbar vor dem Wind segelnd auch nicht besser.  Am besten erstmal bei Schwachwind üben und bei Starkwind das Großsegel rechtzeitig reffen. Anders als bei einer Wende kommen die Vorsegel ganz leicht über,