28.01.17 Zeiteise mit TRES HOMBRES




1000 Meilen Wind. Der Titel des neu erschienenen Buchs und des gestrigen Vortrags von Wolfgang Heisel lockten etwa 180 Interessierte Besucher in das Foyer des Flensburger Schifffartsmuseums. Außerdem war auch eine Verkostung der besonderen Art angekündigt. Es ging, wie könnte es auch anders sein, um Rum aus der Karibik. In Flensburg der Stadt mit historisch gewachsenem Betug zum Schnaps aus Zuckerrohr, der ehedem zur Ruhigstellung der "trinkenden Klasse" (Oskar Wilde) bestimmt, mittlerweile aber zum Edelgetränk von Juppies mutiert ist. Zeitlich war der Vortrag ebenfalls geschickt platziert, schließlich sind es nur noch etwa vier Monate bis zur Rum Regatta, mit der Flensburg an seine historisch bedeutsamen Tage als wichtigsten Standort für die Rumproduktion in Dänemark und Deutschland erinnert.

Worum ging es? Wir hatten in den HAFENMELDUNGEN aus verschiedenen Anlässen über die aktuelle Frachtschifffahrt unter Segeln berichtet¹). Nun bekamen wir einen erfrischend schnörkellosen Bericht über die Wirklichkeit einer Reise als "Trainee" auf der Brigantine TRES HOMBRES. Der Segler ist einer der letzten Frachtsegler Europas auf Atlantikfahrt. Das Schiff ist zudem das einzige, das ausschließlich von Wind und Segeln angetrieben wird. Ist der Wind schwach, werden mehr Segel gesetzt. Bleibt er aus heißt es warten bis der Wind wieder weht. Auf der acht Monate langen Reise von Den Helder über Norwegen bis zu den Westindischen Inseln und zurück nach Cornwall in Südengland brachte nahezu alles, was die Wetterküche einem Transatlantiksegler bieten kann. Tagelangen schweren Sturm genau so wie auch tagelange Flaute.

Der Bericht gab einen guten Einblick in Theorie und Praxis von "fairer" Wirtschaft. Denn schließlich sollte auch mit dieser Reise nicht nur demonstriert werden, dass Frachtschifffahrt möglich ist, ohne die Umwelt durch Abgase zu vergiften. Zudem sollten auch die Waren das Prädikat "fair" verdienen. Das heisst in diesen Tagen, dass alle Aspekte der Produktion ethisch hochwertigen Standards gerecht werden müssen. Da gibt es beispielsweise einen Schotten, der seit Jahrzehnten in der Region von Bordeaux Wein nach oekologischen Prinzipien herstellt. Er hat mehr oder minder per Zufall festgestellt, dass sein Rotwein bei einer Transatlantikreise im Fass zu einer ganz besonderen Qualität reift. TRES HOMBRES sollte der nächsten Charge seiner Winzerei zum Prädikat "Retour des Isles" (zurück von den Inseln) verhelfen. So veredelt soll die Flasche dann für 160,-- Euro angeboten werden, erfahren wir. Auch oekologisch gebrautes Bier für Bioläden in der Bretagne ist an Bord. Auf der Rückreise sollen unter anderem Melasse, Rum, Kakaobohnen, Schokolade den kleinen Frachtraum füllen. Der fasst maximal 35 Tonnen, die zudem ausschließlich von Hand von der Crew an Bord gebracht und dort seesicher verstaut werden. Während der Reise wechselten die Auftraggeber und mit ihnen die Zielorte. Wer Nischen bedient, muss sich anpassen.

Um der Umwelt diesen Dienst erweisen zu können, zahlte der Autor des Reiseberichts 10.000 Euro und nahm schlaflose Freiwachen mit acht anderen im nassen Mannschaftslogis auf sich. Anscheinend ist "fair" etwas, was man bei diesem Einsatz ruhig dem Luxus-Segment im Markt zuordnen kann. Aber ein gutes Gewissen wurde noch nie geschenkt.

Der Autor des Erlebnisberichts unternahm die Reise im Jahr 2014/15, als er irgendwie den Wunsch hatte, mal 'rauszukommen und eine ungewöhnliche Reise zu unternehmen. So kam er ohne längere Vorbereitung Mitte Oktober gemeinsam mit 14 anderen Männern und Frauen aus elf Nationen an Bord. Die waren zwischen 17 und 67 Jahre alt und hatte sich auf englisch als Bordsprache geeinigt. Manche wollten Teile der Reise an Bord bleiben. Schließlich war der Berichterstatter der Einzige, der die gesamten acht Monate an Bord blieb.

Er musterte als "Trainee" ohne Segelerfahrung an. Als er abmusterte, hatte er etlichen Neuankömmlingen die Funktion der komplexen Takelage erklärt und das tägliche Arbeitspensum an Bord kennengelernt, einschließlich Rostklopfen, Reparieren, Lasten schleppen, Wache gehen, steuern, ... Das volle Programm.
Und das hieß "Instandhaltung in Fahrt". Geregelte Freizeit ist auf einem alten Segler ein Fremdwort. Geregeltes Arbeiten auch. Ebenfalls geregelte Schlafzeiten, trockene Kleidung und Kojen, Privatsphäre, ausreichend viel Schlaf. Dafür gab es Tage auf einsamen Ankerplätzen und in abgelegenen Frachthäfen.
Auf der Reise in die Karibik hat bei ihm die Erfahrung besonderen Eindruck hinterlassen, als Besatzung von jeder Information ausgeschlossen zu sein. Bis hin zur Antwort auf die Frage "Wie wird das Wetter". Als auf den Kapverden Brasilien als Reisestation kurzfristig gestrichen wurde, konnten anschließende Reisepläne und Verabredungen nicht mehr geändert werden. Und das in Gegenden ohne Telefon, Internet, oder Post. Kurz und gut: Die Kommunikationsbedürfnisse einer Crew haben sich seit den goldenen Tagen der Frachtsegelei wohl grundlegend geändert.
Als jedoch Kommunikation lebensnotwendig war, wusste jeder an Bord was Sache ist. Kurz vor der Ankunft auf Barbados, ein Mann in voller Fahrt über Bord gegangen. Er war "nach gefühlten 20 Minuten wieder an Bord" hieß es im Vortrag und die Erleichterung und der Stolz waren immer noch zu spüren.

Hätte der zeitreisende Trainee die Absicht, sich in die Empfindungen eines Seemanns im vorletzten Jahrhundert einzufühlen, dann hätte er das Ziel zu 100 Prozent erreicht. Denn ein Jungmatrose von damals hätte auch über schlechtes Essen und nasse Kojen geklagt, aber nicht über mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Schiffsführung. So fragt sich unser Reisender auf der Isla Brava (Kapverdische Inseln) "Warum bin eigentlich ich hier?" Ohne Möglichkeit, seine vorzeitige Heimreise zu organisieren, bleibt er schließlich an Bord.
Später, dann schon auf  Grenada, kommt ein neuer Kapitän an Bord und mit ihm ein anderer Umgang mit der Besatzung. Ziele und Aufgaben werden angekündigt, aktuelle Lageberichte werden kommuniziert. Der "Neue" packt selber als erster mit an und hört als letzter auf. Und schon bessert sich die Stimmung zumal auch auf den verbliebenen Stationen etwas Zeit für Landausflüge eingeräumt wird.

Nach seinem Resumee gefragt, antwortet er am Schluss des Vortrags "Wenn es wieder meine erste Reise wäre, würde ich die Tour nocheinmal machen". Aber, wir wissen das. Nichts lässt sich wiederholen, außer der Sehnsucht.

Dass sich die Erwartungen der Landbevölkerung seit der großen Zeit der Frachtsegler geändert haben zeigen Fragen aus dem Publikum, nach warmen Wasser für das Wohlbefinden an Bord. Stattdessen gibt es ein Bedürfnis nach uneingeschränkt emissionsfreiem Transport. Als so nebenbei geschildert wurde, dass zum Kühlen der Fracht zeitweilig ein Dieselgenerator eingesetzt wurde, war hier und da ein entrüstet klingendes Murren zu hören. 

Wer gestern verhindert war, aber die Reise dennoch nachvollziehen möchte: 1000 Meilen Wind ist als Buch erschienen. Ein Blog im Internet informiert ebenfalls über die Reise. Beide sind mit guten Fotos reich bebildert.

Was Medien nicht können, bot das Rumkontor im Schifffahrtsmuseum nach dem Vortrag: Eine Verkostung von Rum, der mit TRES HOMBRES schon im letzten Jahr hier angelandet wurde. Er wird auch nach dem Vortrag dort in verschiedenen Geschmacksrichtungen angeboten. Und sollte er ausgehen, wird es Nachschub geben.
____________
¹) Links auf externe Quellen gehen leider teilweise ins Leere, weil die Beiträge dort inzwischen gelöscht wurden.