03.06.16 Mal wieder raus

Wer denkt, dass Rentner mit einem Boot nichts Anderes zu tun haben, als tagein-tagaus zu segeln, der irrt. Denn bekanntlich hat kaum jemand weniger Zeit als so genannte Ruheständler. Ist das Wetter zu ungemütlich, ist nix mit dem Wassersport, ist es dann wieder schön, gibt es Wichtigeres zu erledigen als da sind Arztbesuche und Behördenkram. Das Leben ist nun eben wie das Leben eben ist. Aber jetzt passte mal wieder alles zusammen.
Es ist bereits Sommer der in den Medien seit kurzem als "meterologisch" bezeichnet wird und sich von dem sog. "astronomischen" Sommer durch das Datum seines ersten Tages unterscheidet. und den haben wir bei schönstem Segelwetter begrüßt.
Am Morgen dämpft Dunst das grelle Sonnenlicht und der milde Wind aus Ost lockt auf die Förde. Wir werden oft gefragt, wohin wir in diesem Jahr reisen wollen. Früher hätten wir "Ost-Schweden" gesagt oder "Norwegen". Heute wollen wir nur einfach mal raus. Nach etlichen langen Reisen während der letzten Jahrzehnte wissen wir: Im Grundsatz ist es ziemlich egal, wohin man segelt. Von Abenteuern abgesehen sind die Herausforderungen von Wind und See letztlich immer ähnlich und doch immer wieder neu. Und die Zeit der Abenteuer liegt hinter uns. Diese Erlebnisse sind einem Bonmot zufolge ohnehin meist nur Ergebnis von Projekten ohne Planung oder Katastrophen mit glücklichem Ausgang. Davon haben wir genug gehabt uns, um uns mehr zu wünschen. Jetzt sind wir mit kleinen Aufregungen zufrieden.

Happily splashing along.
Eine größere Bugwelle sieht zweifellos imposanter aus,
zeigt aber verschwendete Antriebskraft.
 
Zu Beginn jeder Segelsaison braucht es einige Ausflüge, bis die Manöver reibungslos ablaufen und im Rigg alles wieder seine gewohnte Ordnung gefunden hat. Das ist der Preis, den wir gerne für die Vielfalt zahlen, in der unser Schiff geriggt werden kann. Die Betonung liegt auf "kann", denn wir experimentieren gerne. In dieser Saison ist die Phase eins ("Alter forscht") abgeschlossen, und Phase zwei ("Alter genießt") hat begonnen. Dafür ist heute ein perfekter Tag. Petrus hat sich mit Regenwetter verausgabt und legt ebenfalls einen Ruhetag ein.
Gut getrimmt steuert sich WIEBKE BOHLEN alleine
Wie oft dreht der Ostwind noch im Hafen auf Nord und nimmt zu, je mehr wir uns der Werft und damit der engsten Stelle bei der Ausfahrt nähern. Also heißt es "kreuzen", denn auch heute wollen wir den Motor möglichst nicht benutzen. Das haben wir mittlerweile nur noch mit wenigen Booten vergleichbarer Größe gemein. Aber auch viele kleinere Segelyachten trauen ihrem Dieselmotor offenbar mehr zu als dem Wind. Dabei laufen sie mehr Höhe, als sich der Skipper eines altmodischen Langkieler erträumen kann.
Während wir noch die Vorzüge der Baumfock genießen und einhand Richtung Förde kreuzen, quert ein großer Schlepper unsere Bahn, um den schon wartenden Schwimmkran SAMSON in der Hafenausfahrt zu bugsieren. Wir verzichten auf eine Mutprobe und schieben uns mit "Sir Henry" aus der Situation. Schließlich wollen wir den Tag genießen und nicht in der Unfallstatistik landen.

Draußen sind wir nahezu alleine unterwegs. Kein Außenborder zersägt die Ruhe, kein Motorboot schüttelt uns in seinem Kielwasser und kein Flugzeug dröhnt am Himmel. Es ist immer noch Vorsaison. (Glücklicherweise hat noch kein Tourismusmanager ein griffiges Vermarktungskonzept entwickelt, um diesen Zustand der lässigen Geruhsamkeit mit quirligen Events zu vertreiben. Ein Tag wie heute bietet Ruhe und Frieden, die man gerne als Werbebotschaft nutzt, im übrigen aber mit den beworbenen Produkten und events sogleich vernichtet.)
Jugendkutter sehen wir immer gerne.
Der Crew sieht uns wohl auch gerne an.
Vor der Meierwik segelt ein Jugendkutter hoch am Wind. Von achtern kommt CARMELAN auf. Der beinahe 100 Jahre alte Haikutter eilt mit Maschinenkraft Richtung Norden. Vor den Ochseninseln ankert eine moderne Segeljacht. Erst vor Glücksburg wird die Szene durch andere Boote belebt. Nun nimmt der Wind zu und dreht auf Ost-Südost. Während wir bis dahin Kurs Nord laufen konnten, liegen jetzt die 50 Grad an, die für die Holnis-Passage ideal sind. Sollen wir noch weiter raussegeln? Sollen wir zurück? Mittag ist schon vorbei, es ist warm und zuhause leiden die Blumen unter Wassermangel. Also "Klar zur Wende!" und ab geht es bei nun halbem Wind zurück nach Flensburg.  Die großen Schlepper kommen aus dem Hafen und schieben mit Brassfahrt nach Norden. Wir stampfen noch im Schwell ihrer Hecksee, als sie schon längst in der Rinkenaes Bucht verschwunden sind. BODIL verlässt den Hafen unter Segeln. Da sind wir schon vor der Meierwik und freuen uns über die Rauschfahrt bei raumem Wind.
Nun kommen die ersten Flugzeuge und drehen eine Runde, um uns besser beäugen zu können. Von Nord nähert sich eine Prozession moderner Segeljachten. Andere kommen entgegen. Vorin noch hatten wir Vorfahrt, jetzt sind sie im Vorteil - إن شاء الل
Eine Sjekte fährt paralell und erreicht mit uns die Hafeneinfahrt. Wir halten uns auf der Westseite,
Die flinke Sjekte kreuzt zum Steg der Lüttfischer
im Museumshafen. Die letzten Meter legt sie
mit Muskelkraft zurück
und weichen den Winddrehern der Silos aus.
Heute können wir wieder einmal unserem Affen Zucker geben und bei halbem Wind mit Vollzeug bis zur Dampferbrücke segeln. Das Topsegel rauscht beim Museumshafen runter, die Fock vor dem Schifffahrtsmuseum. Dann eine Wende, um anschließend den Klüver zu bergen, das geht bei uns am besten bei raumen Wind auf Backbordbug. Die beste aller Vorschoterinnen macht das mit ein paar Handgriffen. Schon ist das Segel geborgen. Jetzt noch das Großsegel, zuletzt der Besan. Der hat, mittschiffs geschotet, das Boot im Wind gehalten.
Rückwärts in die Box zu fahren ist mit einem Langkieler nicht immer ganz einfach. Solange die Schraube eingekuppelt ist folgt unser Boot nur dem Radeffekt. Erst wenn die Schraube stillsteht, können wir die Richtung selber bestimmen. Der Ostwind weiss heute nicht so recht was er will. Mal schiebt er den Bug in die eine, mal in die andere Richtung. Auf dem Bohlwerk werden vermutlich wieder einmal Wetten abgeschlossen, ob das Anlegen gutgeht. Die Wettverlierer tragen es mit Fassung und noch 'ner Flasche Flens.

Zum guten Schluss kommt der Klüver runter. Das Segel wird durch Stagreiter geführt. So bleibt das Segel an Deck und fällt nicht ins Wasser.
Video: J. Staugaard (Ausschnitt)