18.05.14 Unter den Wolken

"Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein", sang Reinhard Mey im Jahr 1974. Vierzig Jahre später ist es unter den Wolken auch ganz nett.
In vieler Hinsicht ist jetzt eine der schönsten Jahreszeiten für Fahrtensegler. Vor der Urlaubssaison findet sich immer noch ein ruhiger Ankerplatz. Das Gedränge an den Brennpunkten der "Wasserautobahnen" ist noch überschaubar und die Temperaturen sind durchaus erträglich. Wenn dann noch ein brauchbarer Wind weht, bleibt nicht mehr viel zu wünschen übrig.
Während der letzten Tage war das Wetter mittelmäßig, kühl und es regnete immer wieder. Der Wetterfrosch sprach von den Eisheiligen und versprach zum Wochenende Besserung. Ein Hoch weite sich von Westen aus, hieß es, und die Tiefs zögen nach Osten ab. Also verschoben wir unsere Pläne auf das Wochenende.


Anprobe:
CHARLOTTE bekommt neue Kleider
Alles neu macht der Mai, spricht der Volksmund. Liegt es am Frühling oder liegt es an der Rum-Regatta, die in knapp zwei Wochen beginnt? Vielleicht an beidem. Sicher ist, dass CHARLOTTE, unsere, bislang "nackte", Nachbarin, neue (Segel-)Kleider bekommt. In dezentem Beige, très chic. Als wir Freitag Mittag zu unserem Liegeplatz kommen, werden gerade die neuen Textilien angeschlagen. Allerdings ohne das Segelzeichen "L 70", das an ihren Ursprung erinnerte, als sie noch im Lymfjord auf Fischfang fuhr. Aber vom Flair des Alten war nach dem refit ohnehin nicht mehr viel übrig geblieben. Während der letzte Eigner sein Schiff gerne etwas "loddelig" hatte, verfolgt der jetzige eine andere Linie. Die Zeiten ändern sich eben. Wer mag schon entscheiden ob blätternde Farbe und verspakte Segel besser in einen Museumshafen passen? Ideales Wetter zum Segel anschlagen, denn kaum ein Hauch bewegt die Luft. "Flaute aus nördlicher Richtung" wäre die passende Bezeichnung dafür. 
Wir jedoch wollen segeln, haben Essen und Trinken für ein paar Tage gekauft und fragen uns: "Was tun?" Für eine leichte Jolle noch ausreichend, hätte uns der sanfte Hauch in zehn Stunden etwa fünf Meilen vorangebracht, fast bis zu den Ochseninseln.
ALBATROS, gefolgt von ...
... SEUTE DEERN
Also musste "Sir Henry", wie wir unser eisernes Segel nennen, zu Hilfe kommen. Wir trösten uns damit, dass Motoren auch immer wieder warm gefahren werden müssen, sollen sie nicht vorzeitig altern. Also geht es mit Marschfahrt Richtung Holnis Enge. Von Weitem sehen wir schon die Silhouette zweier Traditionssegler. Im Näherkommen erkennen wir ALBATROS und SEUTE DEERN. Sie werden wohl wieder einmal in Flensburg die Crew wechseln. Obwohl sie alle Segel gesetzt haben und aus der Flaute immerhin eine schwache Brise wurde, laufen ihre Maschinen mit. Na klar, sie werden ihren Fahrplan haben und den müssen sie einhalten. Uns reicht es aber und in der Rinkenæs Bugt ist endlich Ruhe im Schiff, und mit den Segeln am Mast steigt die Stimmung. Eine Anzahl moderner Jachten pflügen durch das Wasser. Sie wären unter Segeln sicherlich doppelt so schnell wie wir, aber das scheint nicht genug zu sein. Überall brummen die Motoren, während wir die Langsamkeit entdecken. 
Der nördliche Wind schiebt uns um die Schwiegermutter und um die Ecke von Brunsnæs in die äußere Förde. Irgendwann kommt Kragesand in Sicht. Dort nimmt der Wind zu und unsere Geduld wird endlich belohnt. Mittlerweile haben wir nicht nur ordentlich zu Mittag gespeist, auch Nachmittagskaffee ist längst getrunken. Eine Rotte Segeljachten kommt von achtern auf. Alle unter Vollzeug, die Maschine läuft mit. Unseren Ankerplatz erreichen wir unter Segeln kurz vor Dämmerung. Wo der Anker fällt, setzen wir, wie gewöhnlich, die Markierungsboje. Nun schläft auch der Wind wieder ein. Die Sonne sinkt über dem spiegelnd glatten Wasser. 
In der Nacht hören wir ein Motorboot dicht vorbei fahren. Da es ohnehin Zeit für die Toilette ist, werfen wir einen Blick nach draußen. Der Blick reicht höchstens zwanzig Meter weit. Dichter Nebel hat uns eingehüllt, von der Ankerlaterne hell erleuchtet. Schwalben zwitschern über den Masten. Plötzlich tauchen sie auf, landen auf der Reling und putzen aufgeregt ihre nassen Federn. 

Vormittags hebt sich der Nebel und ein strahlender Sonnentag beginnt mit einer angenehm warmen Brise. Weit und breit ist kein anderes Schiff zu sehen. Kein Geräusch stört den Frieden. Nur hin und wieder quaken ein paar Enten. Wo mögen die Schwalben geblieben sein?

Am nächsten Morgen verspricht der Wetterbericht NE drei bis vier, abnehmend,
Die Ankerboje am Morgen danach
E drehend, später Schauerböen. Wir entscheiden uns, nach Flensburg zurück zu segeln.  Beim Ankeraufgehen vermissen wir die Ankerboje. Nur noch ein winziger Rest baumelt an der Trippleine. Nun ja, bei Nacht und Nebel passiert so allerlei. Diebstahl kann wohl ausgeschlossen werden.
 
Jetzt, am Sonntag, ist die Sønderborg Bugt von vielen Segeljachten belebt. Viele segeln "dänisch", also mit gleichzeitig laufender Maschine. Vielleicht haben sie Notrufe erhalten und müssen schnell nach Hause, denken wir und freuen uns, dass uns das erspart bleibt. Die Windrichtung ist günstig um außer dem
Unter den Wolken
"großen" Klüver (30 m²), dem Toppsegel ( acht m²) auch das Besan-Stagsegel (38 m²) zu setzen. Und natürlich auch, um die Baumfock weiter zu testen. So kommen wir insgesamt auf 147 m² bei raumem Wind. In der Äußeren Förde kommt eine große klassische Jacht entgegen. Was für ein schönes Schiff! Wir philosophieren über die Entwicklung des Segelsports im Laufe der Zeiten. Da sehen wir, jetzt schon wieder bei Brunsnæs eine moderne Rennjolle. "Es ist alles schon mal dagewesen" passte da genau ins Bild. Was sonst soll man denken bei dem Segel dieser kleinen high-Tech Maschine? Der Umriss ähnelt doch sehr dem Gaffelsegel samt Toppsegel auf Gaffelseglern von vor mehr als einhundert Jahren.