26.12.13 Alle Jahre wieder

„Rum mut, Zucker kann, Water bruuk nich.“ Das ist alles, was der Mensch über die Zubereitung des klassischen Getränks der Seeleute wissen muss. Wenn das Wasser dann auch noch heiß ist, kommt die Wärme von innen, auch wenn es draußen noch so kalt ist. 
Heute, am zweiten Weihnachtstag liefen die Schiffe des Museumshafens wie alle Jahre wieder zu der traditionell letzten Veranstaltung in die innere Flensburger Förde aus. Es war schon mal kälter an diesem besonderen Tag im Veranstaltungskalender des Museumshafens. Das mag vielleicht erklären, warum DAGMAR AAEN sich heute nicht in die kleine Flotte einreihte. Das Expeditionsschiff zieht es bekanntermaßen in eisige Reviere und aus der Perspektive ihrer Mannschaft erscheinen die heute Mittag gemessenen fünf Grad über null eher als lauwarm und der Grogtörn entsprechend als eine Ausfahrt für Warmduscher. Das tat der Freude der Teilnehmer und Zuschauer aber keinen Abbruch. Einige Dutzend Menschen hatten sich auf dem Bohlwerk eingefunden, teils um mitzufahren, teils aber auch nur um zuzusehen, wie die Schiffe klar zum Ablegen gemacht wurden.
 Die Schiffe: Das sind heute aus dem Museumshafen der Haikutter BODIL, die Galeasse FULVIA, der Schoner LINA und der Logger PIROLA. Last but not least auch ARVED, die Arendal-Sjekte, als einziges Schiff unter Segeln. Das mit den Segeln war der absoluten Flaute geschuldet, die sich den ganzen Tag lang über der Förde breitgemacht hatte. So was kommt bei Hochdrucklagen im Winter immer wieder mal vor. Bei größerer Kälte ist der Himmel dann oft strahlend blau und die Sonne lässt den ersten Hauch des Frühlings ahnen. Solch ein Tag war das heute aber nicht. Heute war dunstiges Wetter angesagt und die Sonne brachte nicht mehr als einen hellen Klecks in dem Hochnebel zustande. So wurde auch die kleine Arendal Sjekte ARVED streckenweise geschleppt, und einige Meilen weit auch gepullt. Außer den Schiffen des Museumshafens hatten sich auch der Ewer PROVIDENTIA eingefunden, der Kutter ILSE und CAROL, das bretonische Fischerboot. Begleitet wurde die Flotte von GESINE, dem Küstenfrachter aus der "Dampfersammlung" des Historischen Hafens Flensburg. 
Wenn auch unter Maschinenantrieb, ein Ausflug mit dem Schiff auf die winterliche Förde ist ein ganz besonderes Erlebnis. In dem trüben Dunst des Wintertags werden die  wenigen Geräusche zusätzlich gedämpft und die Szenerie wirkt wie auf einem der schwarz-weißen Bilder aus alten Fotoalben. BODIL steuert die Große Ochseninsel an und macht an dem niedrigen Schlengel fest. Dort kann man sich die Füße vertreten. Also krabbelt jeder über die Schanz und, wie es Ringelnatz dichtete "... jumpte an Land, durch den Freihafen und hinein in die stille, Heilige Nacht." Ein Zollmann ist zwar nicht anzutreffen, und auch kein "König von Schweden", wo man sich treffen konnte.

Aber etwas ganz besonderes gab es dennoch zu erkunden: ein Ambiente, wie es heute nur noch an wenigen Flecken zu sehen gibt mit dem morbiden Charme der Vergänglichkeit. Halb abgesoffene Wracks vor einem Haufen Müll an Land, wo eine antike Bandsäge in zeitlosem Rost erstarrt und Reste von Schiffsbeschlägen in und neben zerfallenden Behältern verstreut liegen. Hier ein verfallendes Sportboot, dort Fischerboote außer Dienst. Chaos und Entrophie haben ihre eigene Ästhetik. Hier kann man sie noch in stiller Einsamkeit aufnehmen.

Bald ist die halbe Stunde 'rum, die Füße werden auch schon langsam klamm, Zeit zum Ablegen und für den Rückweg nach Flensburg.


Wir haben einen ganz besonderen Steuermann am Ruder. Er ist klein genug, dass er das große Rad nur auf einer Kiste stehend erreichen kann, aber er bringt uns sicher und auf schnurgeradem Kurs wieder zurück in den Hafen. Ganz selbstverständlich, nachgerade souverän steuert er das große Schiff, als würde er nie was anderes machen.
"Das kann der, er legt das
Schiff sogar an", sagt der Schipper. Das glauben wir ihm aufs Wort, auch wenn wir es nicht mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Überhaupt sind einige Kinder an Bord, augenscheinlich nicht zum ersten Mal. Sie bewegen sich an und unter Deck, als wären sie dort zu Hause.

In Flensburg angekommen, geht es auf GESINE. Hier sollen literarische und musikalische Meisterwerke vorgestellt werden. Sie sind das Ergebnis eines, wie man heute sagt, "Song-Contest", in dem die Besatzungen der Flotte ihre musischen Fähigkeiten aneinander messen. Rund um Stichworte wie "Rum", "Zucker", "besoffen" - ersatzweise "blau" - und Namen der Inseln in den Kleinen Antillen soll während er Überfahrt ein Lied gereimt, vertont und intoniert werden. Gewonnen hat die Crew der LINA. Zu der Melodie von "Süßer die Glocken nie klingen ..." hat ihr Text, mit dem genialen Anfangsworten "Süßer der Zucker nie rieselt ...", den ersten Platz in der Wertung bekommen - nach Auskunft der Juroren deshalb, weil alle Anwesenden hierbei besonders inbrünstig mitgesungen haben. Dafür war der Vortrag der FULVIA (gefühlt) lebhafter. Aber so ist das nun mal bei bei hoher Kunst: sie entsteht in der Seele des Rezipienten - hat mal jemand gesagt.