25.06.13 Existenziell

So viel medialer Furor um Traditionsschiffe war schon lange nicht mehr, wie in diesen Tagen. 

Dunkle Wolken über Traditionsschiffen
(Foto: rho spuerbar)
Am 04.06.13 beginnt das Deutschlandradio mit einem Bericht "Traditionsseglern droht das Aus". Gestern folgen die Kieler Nachrichten-Online mit dem Aufmacher "Vielen Traditionsschiffen droht das Aus",
am 22.05. schreibt die Eckernförder Zeitung "Traditionsschiffe in stürmischer See" und das Flensburger Tageblatt titelt am 24.06.13, jedoch differenzierter: "Segler LOVIS/ Streit um historischen Wert der Traditionsschiffe". Emotionaler berichten am 25.06. die Stadtzeitung Lübeck "Traditionsschiffe tragen Trauer/ Wut im Museumshafen: Berufsgenossenschaft bremst Segler aus" und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) fragt "Wickeln Bürokraten Traditionsschifffahrt ab?"

Dem Tenor nach müssen wir fürchten, dass Veranstaltungen wie die Rum-Regatta Vergangenheit sind, weil die Traditionsschiffe nicht mehr segeln dürfen.
 
Diese und ähnliche Klage ist seit Einführung der Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe zu hören. Anfangs stand die Finanzierung der Maßnahmen im Mittelpunkt, mit denen die Anforderung an Sicherheit und Befähigung der Schiffe und Mannschaften gewährleistet werden sollen. Diese gehen z.T weit über das hinaus, was für den Betrieb von Sportschiffen gefordert wird. Heute ist dagegen die Anforderung an die Historizität der Schiffe Kern der Proteste. Während die frühen Klagen mit Geld für die Anschaffung von Geräten und Zeit für Ausbildung der Mannschaft zu heilen waren, geht die Auseinandersetzung heute an den Kern der Bedeutung "Traditionsschiff", das ja nicht einfach ein altes Schiff ist, oder ein altertümlich aussehendes Schiff nach Geschmack und Bedarf des Eigners.
In der Tat: Die entscheidenden Begriffe und ihre Anwendungen müssen interpretiert werden. Zum Beispiel die Frage "Was ist ein historisches Wasserfahrzeug"? Wer befindet über das "öffentliche, insbesondere kulturelle Interesse" an der Erhaltung und der öffentlichen Präsentation? Wer hat hierbei die Deutungshoheit?  
Unglücklicherweise mussten hierzu bereits Gerichte bemüht werden. An deren Spruch gibt es jetzt nichts mehr zu deuteln und die Traditionsschiffer müssen mit dem Ergebnis leben.

Hierbei geht es an die Substanz. Die meisten Schiffe sind von Privatleuten in der Freizeit mit eigenen Mitteln schwimmfähig gemacht worden. Viele schöne alte Schiffe konnten bei Beginn der Arbeiten nur "Wrack" genannt werden. Dies geschah meist in einer Zeit, als die Richtlinien noch nicht einmal angedacht waren. Als dann die ersten Interessenvertretungen der Traditionsschiffer gegründet wurden, hat kaum jemand daran gedacht, deren Aufgaben und Ergebnisse zu legitimieren. Schließlich war man bis dato ganz auf sich alleine gestellt und hatte im übrigen auch keine Zeit für abstrakte Überlegungen. Die Fragen der Betroffenen und die Notwendigkeit der Interessenvertreter, diejenigen zu überzeugen, in deren Namen sie sprachen kamen erst viel später. Es sind die Fragen, die jetzt auch noch in den Pressemitteilungen nachhallen. Aber lautstarker Auftritt in der Presse wird nicht zu befriedigenden Antworten führen. Auch keine Gerichtsverfahren. Die augenblickliche Situation kam schließlich erst dadurch zustande, dass ein Eigner, so scheint es, partout mit dem Kopf durch die Wand wollte
Übrig bleiben gescheiterte Träume und gekränkte Ideale. Mancher Traditionsschiffseigner ist nun zudem in einem Alter, das er keinen neuen Anfang mehr wagt. Für ihn ist das Problem existenziell.
Die Qualität eines Problems wird oft auch von der Quantität bestimmt. Deshalb lohnt ein Blick auf die Zahlen. Unter Deutscher Flagge fahren derzeit ungefähr 160 Traditionsschiffe. Von ihnen sind gegenwärtig 10 Prozent davon bedroht, dass ihre Zulassung als Traditionsschiff nicht verlängert wird. Bei allem Verständnis für die Sorge vor Präzedenzfällen: Vielleicht kann man auch mal über ein Regelwerk für Ausnahmen nachdenken. 
Dies und eine konstruktive Zusammenarbeit der Beteiligten und Betroffenen auf der Grundlage realistischer Erwartungen könnte zur Entspannung beitragen. Einen Versuch wäre es allemal wert.

P.S: Sollte der Eindruck einstanden sein, die Situation der Traditionsschiffer sei einmalig - sie ist es nicht. Ein Blick an Land fällt oft auf das sogenannte "H-Kennzeichen" alter Autos. Wer in für sein altes Auto weniger Steuern und ggfs. auch Versicherungen zahlen möchte, muss die Originalität im Detail nachweisen und kommt leichter zu einer Ausnahmegenehmigungen beim TÜV, wenn es beispielsweise um Bremsen und Beleuchtung geht.
Wer das nicht möchte, andere Motoren einbaut, aus Limousinen Cabriolets macht - egal wie professionell - verliert in der Regel seine Betriebserlaubnis und muss das gute Stück in der Garage lassen.
Für H-Kennzeichen wie für die Zulassung als Traditionsschiff gilt: Dieses Prädikat ist immer auch ein gutes Argument bei einem Verkauf.