15.12.19 Sieben Jahre und 700 Meilen

Nach sieben Jahren Vorbereitung hat der historischen Kutterewer PROVIDENTIA eine neue Aufgabe übernommen. In diesem Jahr startete unter dem Titel "Seegang" die erste Reise in die Westliche und Südliche Ostsee. An Bord: 14 Jugendliche, zwei Lehrkräfte und zwei Mann Stammbesatzung. Nach 25 Tage und knapp 700 Seemeilen kamen alle wohlbehalten und prallvoll neuer Eindrücke zurück.


1995
Als wir vor einem guten Vierteljahrhundert den alten Hochsee-Ewer HF42 PROVIDENTIA zum ersten Mal sahen, machte seine wuchtigen Erscheinung großen Eindruck auf uns "Landratten". Knapp 30 Meter lang und fast sechs Meter Breit. So etwa musste der Ewer in dem Roman "Seefahrt ist not!" von Gorch Fock, alias Johann Wilhelm Kinau ausgesehen haben, den wir als Schüler oft gelesen haben, und der uns nachts regelmäßig abends mit Möwengeschrei in den Ohren und dem Geruch von Tang und Seewasser in der Nase Traumbilder von Schiffen und See bescherte. Kaum vorstellbar, dass ein solches Schiff untergehen könnte! 
2001
2012
Nun, in dem Zustand der HF42 PROVIDENTIA Mitte der neunziger Jahre war der Gedanke an Untergang und Verlust nicht ganz abwegig. Dem Schiff von 1895 hatten Alter, seine wechselvolle Geschichte und mangelnde Pflege ihre Spuren hinterlassen. Nun lag es am Kai einer Werft in Egernsund und sollte restauriert werden. Aber die Jahre vergingen. Mal wurde an dem Schiff gearbeitet, dann lag es wieder lange Zeit ohne sichtbare Besserung. Einmal schien es richtig voran zu gehen, dann lag es wieder still am Kai der Werft. Mittlerweile hatte ein neues Jahrtausend begonnen und das Schiff zweimal seinen Eigner gewechselt. Vor sieben Jahren wurde sie von der Ostseeschule in Flensburg übernommen. Jetzt ging es endlich wieder voran. Gruppen von jungen Schülerinnen und Schülern räumten Müll aus dem alten Rumpf darunter allein 12 Tonnen Eisenballast.  "Hat PROVIDENTIA wieder eine Chance?" fragten wir uns damals. Schließlich ging es mit einigen alten ehemaligen Gebrauchsseglern zu Ende. Die meist privaten Eigner kamen mit der notwendigen Pflege nicht nach, gelegentliche Fahrten mit zahlenden Gästen ließen zu wenig übrig für den laufenden Unterhalt.
Aber mit PROVIDENTIA ging es wieder voran. Die Ostseeschule in Flensburg, die den Wassersport
2016
in ihrem Konzept festgeschrieben hat, hatte den Segler übernommen. Um den Erhalt des Schiffes abzusichern, wurde ein Förderverein gegründet. Schon im Dezember wurden auf der Egernsunder Werft die Arbeiten am Rumpf abgeschlossen und das Schiff zu weiteren Instandsetzung nach Flensburg verholt. Bei einer Feierstunde in der Werfthalle der Robbe&Berking Yachtmanufaktur erläuterte Ulrich Dehn, Geschäftsführer der Ostseeschule, welche Rolle das Schiff im Konzept der Schule spielen sollte: als Notwe
ndigkeit "den Unterricht für Schülerinnen und Schüler im siebten bis neunten Jahr durch Aufgaben zu ergänzen, in denen das Gelernte in einer vorgegebenen Sinnstellung angewendet werden kann. Er ziele darauf ab dass die Mädchen und Jungen, die an dem Schiff praktisch gearbeitet haben, noch vor Ende ihrer Schulzeit auf dem Schiff segeln können. Im Konzept der Ostseeschule sei Wassersport festgeschrieben, da habe der Gedanke an ein eigenes Schiff nahegelegen. ein Schiff das die Jugendlichen aufbauen und in Stand halten und auf dem sie auch auf reisen gehen". 
Seitdem wurde der historische Hochseefischer, der letzte seiner besonderen Art, durch die Jugendlichen der Ostseeschule gemeinsam mit erwachsenen Fachleuten wieder für ihre neue Aufgabe seetüchtig gemacht. Eine riesige Zahl an Helfern, Spendern und Sponsoren hat mit ihrer Unterstützung geholfen, diese Mammutaufgabe zu bewältigen. Sie lag die meiste Zeit am Harniskai und der Fortschritt war für Jedermann öffentlich sichtbar. Derweil nahm auch das pädagogische Programm Fahrt auf, wie das Flensburger Tageblatt im Juli 2017 berichtete. Seit diesem Jahr ist PROVIDENTIA offiziell als Traditionsschiff zugelassen.  

Schließlich wurden es sieben Jahre, bis der Kutterwewer PROVIDEDNTIA HF42 zu seiner ersten lange Sommerreise im Rahmen des Konzepts der Ostseeschule aufbrechen konnte.  Dazu schreibt die Ostseeschule:

Foto: Jan Zier
"Der Plan war, 25 Tage den Seeraum zwischen Flensburg, Göteborg und Bornholm zu erkunden. Dieser in das Pädagogische Konzept der Schule eingebundene Lehrgang auf See – genannt „Seegang“ – fand nach erfolgreicher Restaurierung des Schiffes zum ersten Mal statt und soll künftig mindestens einmal jährlich wiederholt werden.Bei sommerlichen Wind- und Wetterbedingungen ging es los und gleich am ersten Tag fast 50 Seemeilen von Flensburg nach Marstal, der alten Seefahrerstadt auf der Insel Ærø. Weitere Stationen nach Norden waren dann Langeland, Kerteminde, Samsø und Ebeltoft, bevor der Kurs dann Richtung Osten wechselte. „Die Option, weiter Richtung Anholt und Göteborg zu segeln, haben wir nicht gewählt, da uns das Ziel Bornholm einfach mehr gelockt hat“, so der Lehrer Marc vom Endt. Er hat insbesondere das seglerisch-pädagogische Konzept entwickelt, das alle Jugendlichen stark mit einbezieht. So haben die Schüler mit jedem Tag mehr Aufgaben an Bord selbstständig übernommen und letztlich das Schiff oft fast allein gesegelt. Die Erwachsenen waren auf See meist lediglich als „Backup“ an Bord.
Foto: Jan Zier
Ging der Törn gen Norden noch durch den Großen Belt, nahm Providentia zu Beginn der zweiten Woche Kurs auf den Øresund. Natürlich standen die Festungsstadt Helsingør und dann Kopenhagen auf dem Törnplan. Die Providentia hatte einen exklusiven Liegeplatz gegenüber der Oper mitten in der Stadt. Nach einem Tag Aufenthalt in Kopenhagen ging es mit einem kurzen Zwischenstopp direkt nach Bornholm. Dies war der erste von zwei Tagen auf der Reise, an denen durch die Nacht gesegelt wurde. Viele der Schüler waren hiervon besonders angetan. „Am besten fand ich die beiden Nachtfahrten! Da war es oft richtig spannend, wenn wir in den Verkehrstrennungsgebieten auf die vorfahrtberechtigten Schiffe aufpassen mussten!“ resümiert Lorenz.
Foto: Jan Zier
Kritische Situationen gab es auf dem gesamten Törn nicht. „Natürlich sind wir beiStarkwind im Hafen geblieben. Für uns war die Sicherheit für Besatzung und Schiff immer oberste Priorität“ resümiert Kees van den Bos, der holländische Skipper.
Neben den täglichen Lerneinheiten in den klassischen Schulfächern gab es natürlich häufig Exkursionen an Land sowie konkret/praktischen Sport- und Biologieunterricht. Die wesentlichsten Lernprozesse haben sich aber natürlich abseits des Schulpensums entwickelt. Am letzten Abend fasste Emily ihre Reflexionen auf den „Seegang 2019“ zusammen: „Der Seegang war eine so tolle Zeit, die ich nie vergessen werde. Ich habe so viel gelernt, nicht nur übers Segeln, sondern auch über mich selbst. Ich werde die Zeit vermissen, aber ich freue mich auch sehr auf Zuhause.“
Unter vollen Segeln lief Providentia nach insgesamt knapp 700 Seemeilen in den Hafen von Flensburg ein, wo alle Eltern und eine große Zahl an Mitschülerinnen und Mitschülern ihnen einen begeisterten Empfang bereiteten.
Lehrerin Ulrike Stockhaus konnte ihre Euphorie über die 25 Tage kaum zurückhalten und rief den Familien der mitgereisten Jugendlichen zu: „Was ihr für tolle Kinder habt! Sie alle haben wesentlich zum Gelingen dieses Törns beigetragen.“ 

Sie waren aktiv dabei
Foto: 
Jan Zier

Ach ja, denken wir beim Schreiben. Jetzt noch mal fünfzehn sein und mitsegeln können - Das wärs! So wünschen dem Schiff und allen die auf ihm fahren allzeit "Fair Winds!" und immer eine sichere Heimkehr!