18.07.15 Segeln wie einst

Die Hinreise war angenehm
Foto: A. Fuchs
Mit einem traditionellen Segelboot kommt man gelegentlich auf seltsame Gedanken. "Braucht man denn eigentlich diesen hunderte Kilogramm schweren Ballast der sich Motor nennt? Und dazu der ganze Umstand mit der Wartung und die Preise für Diesel! Früher ging das ja auch ohne!
Also bemüht sich der traditionsbewusste Segler um traditionelles Segeln und startet den Motor nur, wenn's unvermeidlich ist. Unvermeidlich ist ein Notfall, oder wenn ein Zusammenstoß nur durch beherztes Voll Zurück oder Voll Voraus zu vermeiden ist. Auch kann man im Hafen nicht so einfach rückwärts in die Box segeln. A Propos rückwärts segeln. Das geht tatsächlich. Rahsegler fuhren oft ein Wendemanöver, indem sie sich mit back gestellten Vorsegeln rückwärts treiben ließen und so das Heck in die gewünschte Richtung brachten. Rückwärts segelte auch das Segler-Ass Manfred Curry, dem wir unter anderem die bekannte Curry Klemme verdanken. Er gewann unzählige Regatten und manche mit einem derartigen Vorsprung, dass er sich einmal nach dem Passieren der Ziellinie das Vergnügen gönnte, diese rückwärts segelnd ein zweites Mal zu überqueren. Da war er sozusagen zweimal Erster geworden. Allerdings bekam ihm das nicht gut. Das Schiedsgericht sah darin eine Missachtung der Regattaleitung und erkannte ihm den Sieg ab. Wie man sieht: Rückwärts segeln ist auch für Koryphäen nicht ganz ohne.


Dass man viele Manöver auch ohne Maschine bewältigen kann, steht jedoch außer Frage. Aber es gibt natürlich auch Situationen, in denen ein alternativer Antrieb nützlich ist. Eine dieser Situationen ist die Flaute. Wenn an einem Sommertag mittags der Wind schwächelt und eigentlich tiefe Ruhe über den Wellen herrschen sollte, werden ringsum die Motoren gestartet und die sportlichen Yachties brummen ab zum nächsten Hafen. "Häbel onse täbel" lautet die Devise. Der Schnellere bekommt den besseren Liegeplatz. Läuft der ehrliche Segler als Nachzügler Stunden später ein, dreht ihm die Hafencrew 'ne Nase und lässt ihn vielleicht nicht mal längsseits gehen.

Natürlich hatte man früher nicht beliebig viel Zeit. Schließlich sollte der Fang frisch angelandet werden. Deswegen hatten viele Boote, auch solche mit beachtlicher Länge, Ruderdollen und konnten im Fall des Falles in den nächsten Hafen gepullt werden. Oder sie wurden von ihrer Mannschaft mit dem Beiboot pullend geschleppt. Wir haben das auch mal ausprobiert, sind aber davon abgekommen. Es war im Kleinen Belt bei absoluter Flaute. Da wir sonst nichts zu tun hatten brachten wir das Schlauchboot  aus, um unsere "Dicke" mit ihren 20 Tonnen Verdrängung zu schleppen. Die ersten Minuten verbrachten wir damit, mit jedem Pull die Schleppleine zu straffen, und dann zog uns der widerborstige Strick mit einem sanften Ruck wieder zurück. Nach einer halben Stunde war der ünermüdliche Hilfsantrieb vollkommen außer Puste und die "Dicke" machte nur einen halben Knoten Fahrt. Nach dieser Erfahrung scheidet bei uns die Methode für den praktischen Gebrauch aus.

"Geduld ist die Tugend der Glücklichen" rät Spinoza. Stimmt auch auf See, denn irgendwann kommt der Wind wieder. Diese Weisheit konnten wir in den letzten Tagen auf die Probe stellen. Da hatten wir ganz unfreiwillig Gelegenheit, unsere Überlegungen zum "Segeln wie früher" praktisch zu erproben. Das war so:
Wir ankerten in Hørup Hav bei Sønderborg. Die Nacht war ruhig, der Wind, der uns am Vortag noch zügig angetrieben hatte, war eingeschlafen. Macht nix, dachten wir, wozu haben wir denn "Sir Henry", wie wir unseren Ford Diesel nennen. Wie gewohnt sprang er auch zuverlässig an. Ein Schrei aus dem Maschinenraum (sowas gibt's bei uns): "Aus der Maschine tropft Diesel!" Dieser Ruf  machte die Aussicht auf eine schnelle Rückreise zu Makulatur. Um es kurz zu machen: Die defekte Dichtung war schnell getauscht, aber das Entlüften der Treibstoffleitung misslang gründlich. Nach einigen Startversuchen gaben wir  auf, um die Akkus zu schonen. Unser Erfahrungstrip zum Thema "Segeln wie einst" begann.
Meist ankern wir auf etwa sieben Meter Wassertiefe. Also hatten wir um die 40 Meter Kette gesteckt, die nun von Hand eingeholt werden wollten.  Die ersten Meter klackerten noch ziemlich schnell in den Ketteneinlauf. Die folgenden hochzubekommen, war schon erheblich mühseliger. Die letzten zehn Meter waren von Hand nicht mehr zu bewältigen: Nun musste die elektrische Ankerwinsch doch ran. Der Anker brach aus, und wir begannen zu treiben.
Sonnenuntergang  bei Brunsnæs
Wie immer beim Ankern war der Besan gesetzt. Das Schiff liegt dann ruhiger. Jetzt ging die Fock hoch, dann das Großsegel und das Topsegel obendrein. Langsam kam Fahrt ins Boot und die Heimreise begann. Reise ist ein großes Wort für eine Entfernung von etwa 25 Seemeilen. Aber am Ende waren wir 24 Stunden unterwegs. Zeitweilig war der Wind so schwach, dass  die GPS-Anzeige 0,1 kn anzeigte. Aber immerhin stimmte die Richtung. Der vorhergesagte Südwestwind entpuppte sich als schwacher Hauch aus West. Das hieß:kreuzen hoch am Wind. Der große Leichtwindklüver und das Toppsegel über dem Groß, alle bauchig getrimmt, sollten für größtmöglichen Vortrieb sorgen. Einen Tod muss man sterben, sagt das Sprichwort und wir bezahlten das bisschen mehr Geschwindigkeit mit einer geringeren Höhe am Wind. Bei Bockholmwik übersah uns eine Segeljacht. Die Beiden an Bord ließen sich nur durch unser Signalhorn und laute Rufe in ihrer angeregten Unterhaltung stören. Wir hätten nicht ausweichen können. Gegen Mitternacht hatten wir die "Schwiegermutter" genannte Tonne sechs bei Holnis erreicht. Hier ist das Fahrwasser besonders eng und weil der Wind, wenn wir das Wort überhaupt verwenden wollen, jetzt auf NW drehte, brauchten wir vier Anläufe, dann hatten wir die kritische Stelle endlich geschafft. Nun war es vollkommen dunkel, nur im Norden war das Schwarz der der Neumondnacht durch einen schwachen orangeroten Streifen gemildert. Wir sahen einige kleine Boote mit Anglern als dunkle Flecken aiuf dem Wasser. Sie zeigten keine Lichter. Ob Angler vor einhundert Jahren auch so sorglos waren? Die vielen Leuchtfeuer ringsum hat es damals wohl nicht gegeben. Jetzt machten sie die Navigation einfach, trotzdem kontrollierten wir unsere Position auf dem Plotter. Jetzt aufzulaufen, wäre keine gute Idee gewesen. Wie hätten sich Segler vor, sagen wir mal 150 Jahren orientiert? Oder hätten sie sich einen passenden Ankerplatz für die dunklen Nachtstunden gesucht? 
Ein Katamaran überholte uns mit geringem Abstand. Wir hörten das leise Sirren der gut gedämpften Maschine und blickten in seine Richtung. Da blitzte ein Scheinwerfer auf und wir sahen die nächsten Minuten nur noch rote und gelbe Flecken. Das wäre damals wohl nicht passiert. Ein neugieriger Überholer hätte vielleicht gefragt "Welches Schiff?" Dann hätten wir ihm zugerufen "WIEBKE BOHLEN aus Flensburg".
Gegen drei Uhr morgens passierten wir Glücksburg. Jetzt rührte sich ein leiser Hauch. Hurra, wir hatten wieder Fahrt im Schiff! An dem Huk bei Fahrensodde nahm der NE Wind zu und auch unsere Fahrt. Nun  wurde es uns schon fast ein bisschen zu viel des Guten, schließlich mussten wir auch noch in die Box am Museumshafen verholen. Doch wir hatten uns zu früh gesorgt. Hinter der Werft war der Wind nahezu komplett weg. Mittlerweile war es sieben Uhr morgens. Die Sonne schien schon seit zwei Stunden. Nun kam der Windhauch an jeder Ecke der Silos aus einer anderen Richtung und wir nahmen vorsichtshalber den Klüver und das Großsegel runter. Wir waren schon so lange unterwegs, dass es auf eine Stunde mehr oder weniger auch nicht mehr ankam.
Bei dem Anleger der Wasserschutzpolizei ließen wir auch den Besan fallen um möglichst langsam an unsere Box zu manövrieren. Wer schon mal versucht hat, ein schweres Schiff auf kurzem Weg mit einer übergeworfenen Leine aufzustoppen, weiß warum. 
Aber beim Bohlwerk angekommen, schlief der Wind endgültig ein und wir dümpelten langsam aber sicher auf die Dalben des Museumshafens zu. Jetzt kam zum Glück ein Hauch aus Ost. Rasch ging der Besan wieder hoch und drehte den Bug unendlich langsam in Richtung Hafen.
Schließlich waren wir da. Mit Leinen und dem langen Bootshaken konnten wir unseren Liegeplatz wieder einnehmen. Wir waren angekommen.
Später wurden wir gefragt, warum wir nicht WERNER KUNZE, das Boot der DGzRS aus Langballig gerufen hätten? Die Retter helfen gerne und dann wären wir schneller nach Flensburg gekommen. Das war uns nicht eingefallen. Schließlich waren wir doch nicht in Seenot.

Was bleibt von der Reise?
Der feste Vorsatz, Dichtungen bei der Montage immer auf korrekten Sitz zu prüfen und beim Entlüften nicht gleich nach dem ersten Schwall blasenfreien Diesels aufzuhören.  Es bleibt auch die Erinnerung an die unzähligen Sterne in der Neumondnacht, die Sternenbilder und den Schimmer der Milchstraße. Die zwitschernden Vögel über uns unsd die dunkle Wasserfläche um uns herum. Und ein bisschen Zufriedenheit, dass wir diese kleine lange Reise alleine geschafft haben, so wie Segler einst.

P.S. Mittlerweile ist die Maschien wieder entlüftet und grummelt wie gewohnt. Während dieser kleine Bericht entsteht, regnet es in dicken schweren Tropfen während alle Fahnen nach unten hängen. Segeln wie einst bei Regen und Schwachwind, diese Erfahrung blieb uns zum Glück erspart.