28.05.14 Schotten - Lyrik

Als wir vor langen Jahren "unser" Schiff suchten, sprach uns in dieser Suche ein Gedicht von Ciceley Fox Smith an:
Ob Schönwetter oder beigedreht,
Die Segel groß oder klein,
Ob im Norden oder Süden; ob vorm Wind
Oder Wind querein
ist egal. Doch ein richtiges Schiff-
Und ich werde zufrieden sein.
Ein besseres Motto hätten wir nicht wählen können. Und auch keine bessere Dichterin. Ihr Verlag formuliert "Much of her poetry was from the point of view of the sailor. The detailed nautical content of her poems made it easy to understand why so many readers presumed that Cicely was male." Es gab also schon vor einhundert Jahren Frauen, die wie Seeleute fühlten, was manchem heute noch ein Geheimnis ist. Damit begann die Geschichte der WIEBKE BOHLEN
Auch Schiffe können Geheimnisse bergen. Manche waren an schrecklichen Ereignissen beteiligt, man denke nur an die Zeiten der Weltkriege. In mancher Bilge schlummern wertvolle Dinge, die dort verloren gingen und vergessen wurden. Andere bergen fröhliche und ein wenig skurrile Geheimnisse. Es kann sein, dass unser Schiff zu der dritten Kategorie gehört.
In dieser Woche begegnete ich einem Bootsbauer und unterhielt mich über - na, was schon? Richtig! Bald kam das Gespräch aufs Segeln und Holzschiffe. Ob ich denn auch segle, und ob ich gar ein eigenes Schiff habe? Wo es gebaut sei? Die üblichen Fragen in diesen üblichen Unterhaltungen. Dazu die üblichen Antworten: "ja", "ja", "in Norwegen". Die Augenbrauen gehen hoch, künden von Interesse. "Auf welcher Werft?" "bei Djupevag". Und jetzt kommt's. Statt des üblichen ratlosen "Ach, ja?" kam die Antwort "Da habe ich gearbeitet."
Überflüssig zu erwähnen, dass der Rest des Gesprächs sehr interessant wurde. Ob ich denn schon einmal die Querschotten ausgebaut hätte, wollte mein Gesprächspartner wissen und legte damit die Spur zu dem möglichen Geheimnis: Ein Sohn des Werfteigners, der selber Bootsbauer und ein bisschen wunderlich sei, sagte er, habe Gedichte verfasst und diese an verborgenen Stellen in den Neubauten verewigt. Das wären oft die Schottwände gewesen.
Nun, die Schottwände haben wir nie demontiert und auch die Vorbesitzer nicht. Das zu tun, wäre auch schändlich gewesen, denn sie sind als Täfelung aus Eichenholz gestaltet, und wer wird eine solche schöne Handarbeit zerstören? Außerdem gehören sie zum Schiff, wie der Rumpf und das Rigg. Aber nun, wo die Neugier geweckt wurde?
Ach, was. Unser mögliches Geheimnis gehört jetzt auch zum Schiff, genau so wie die Schotten samt ihrer Lyrik.


Schottwand zum Maschinenraum

27.05.14 Winter ade

ABBI geht baden ....
Hier kommen ein paar Fotos von den Lüttfischern. Die hat Hans Herrmann Heyer gemacht und freundlicherweise zur Veröffentlichung freigegeben.
MINNA ROEDER auch ...
Sie entstanden heute und in den letzten Tagen und zeigen unter anderem, wie die Buttjolle MINNA ROEDER und die Kadrejerjolle ABBI zu Wasser gelassen werden. Damit ist auch für diese beiden Boote aus dem Lüttfischerhafen die Wintersaison endgültig zu Ende. Bei dem frischen bis stürmischen Ostwind steigt der Wasserstand im Hafen und ist am frühen Abend einen Meter höher als der Mittlere Wasserstand. Das reicht, um den Jollensteg zu überfluten. Wer jetzt noch im Lüttfischerhafen etwas erledigen will, muss schon die Hosen hochkrempeln, wie die beiden auf dem Foto von heute.


... ist aber noch nicht ganz dicht.
Fotos (3): Hans Herrmann Heyer




Der Jollensteg ist jetzt voll besetzt. Dazu werden in Kürze noch die Gäste der Rum-Regatta erwartet. Dann wird es bei den "Kleinen" wieder eng aber gemütlich zugehen. Das soll aber nicht heissen, dass sie auf der Regattabahn fünfe gerade sein lassen. In den letzten Jahren hat sich die Lüttfischer-Regatta zu einem sehr sportlichen Ereignis entwickelt, das immer mehr Beachtung findet. Sie beginnt am Donnerstag pünktlich um 12 Uhr im Flensburger Hafen. Sollte die heutige Wettervorhersage für den Himmelfahrtstag zutreffen, bekämen die Teilnehmer ideale Bedingungen für eine entspannte Regatta. Der Wind soll mit etwa drei Beaufort Stärke aus NE wehen. Aber "Vorhersagen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen". Das gilt besonders auch für das Wetter. Also warten wir's ab.

Der Eindruck täuscht. Lüttfischer können garnicht übers Wasser laufen. Aber es wäre prktisch, wenn sie es könnten.
Foto: W. Kühn

25.05.14 Von oben gesehen

Auch heute ist das Bohlwerk Teil der Hafenpromenade. Man trifft sich, isst ein wenig, redet, schaut oder träumt. 
 
Von oben gesehen: Das Bohlwerk heute
So wie sich der Museumshafen heute zeigt, lässt er die kommende Rum-Regatta noch nicht einmal erahnen. Kaum zu glauben, dass in nur fünf Tagen alleine am Bohlwerk dutzende alte Segelschiffe liegen werden. Jagten, Snurrewadenkutter, Lotsboote, Belt-Boote, Skoiten, Smakken - viele unterschiedliche Typen. Alle geprägt vom ihrem früheren Zweck und Ursprung. Sie erinnern an die Zeit, als nur der Wind die meisten Schiffe antrieb und die Küstenschiffahrt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war. Das ist nicht einmal einhundert Jahre her. Dennoch sind die Zeugnisse der Arbeitswelt jener Zeit weitgehend aus dem Bild der Hafenstädte verschwunden. Das meiste, was Krieg, technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel übrigließen, wird heute in Museen aufbewahrt und pädagogisch ansprechend präsentiert. Schiffe gehören wegen ihrer Größe im allgemeinen nicht dazu. Das Bohlwerk während der Rum-Regatta ist einer der wenigen Orte, die annähernd zeigen, wie reges Hafenleben an den Küsten einmal ausgesehen hat. Nicht auf Bildtafeln oder alten Postkarten, sondern in voller Größe. Sozusagen zum Anfassen und anhören und auch zum riechen. 
Doch bleibt die Zeit nicht stehen. Die Szene der Traditionssegler wandelt sich. Gesetzgebung und Behörden bestimmen zunehmend die Richtung der Entwicklung. Sehr stark wird sich in wenigen Jahren der demografische Wandel auswirken. Weniger junge Menschen als früher können sich ihre Freizeit auf und mit traditionellen Schiffen vorstellen.
Was in dieser Situation zu tun ist, folgt anderenorts anderen Schwerpunkten. In diesem Jahr haben wir in Flensburg die spannende Möglichkeit zwei wichtige Organisationen kennenzulernen, die in diesem Bereich maßgeblich Einfluss nehmen.
Die eine ist die dänische Træskibssammenslutningen. Sie feiert eine Woche nach der Rum-Regatta erstmals ihr Jahrestreffen in Flensburg. In Deutschland gibt es keine vergleichbare Organisation. Aber es gibt eine, wenn auch kleine, Anzahl deutscher Schiffe, die Mitglied sind. 
Die andere ist die EMH (European Maritime Heritage) als europäische  Organisation.  Sie wird in diesem Jahr gleichzeitig in Flensburg tagen, um über die Situation in europäischen Ländern zu  sprechen und um Vorgehensweisen festzulegen. 
Während der Rum-Regatta vor einem Jahr

23.05.14 Noch eine Woche...

... bis zur Rum-Regatta. Sie findet bekanntlich immer am Samstag nach Christi Himmelfahrt¹) statt. Beim Schreiben dieses Artikels geht ein Regenschauer nieder, weil wir gerade eine unstabile Wetterlage mit Regenschauern haben. Da stellt sich die Frage nach dem Wetter zur Rum-Regatta.


Die Rum-Regatta ist auch bei wenig Wind reizvoll - zumindest optisch. Hier eine Hafenszene vom letzten Jahr

Die Prognosen für den Tag der Tage der Traditionssegler im echten Norden sind - bei aller gebotenen Vorsicht - bis jetzt noch positiv. Zwar soll es nach einem passablen Sonntag ab dem Wochenanfang bei sinkenden Temperaturen wieder häufiger regnen. Am "Vatertag" und dem kommenden Freitag können sich auch Gewitter hinzugesellen, heißt es. Am Samstag in einer Woche, also am Tag der eigentlichen Rum-Regatta, soll es angeblich wieder trockener werden. Jedoch gibt es neben Regen- auch Wermutstropfen zu verkünden: Der Wind wird den Trendmeldungen zufolge schwach anfangen und dann stark nachlassen. Erst in der danach folgenden Woche - in diesem Jahr auch "Traditionswoche" genannt - wird sich das Wetter beruhigen. Das behaupten jedenfalls hiesige Wetterfrösche.

____________________________
¹) Unter dem Namen "Vatertag" wegen des mitunter hohen Alkoholkonsums jüngerer und älterer Männer berüchtigt. Er hat seinen Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Also in dem Land, das seit dem Vietnamkrieg für alles und jedes kritisiert wird - außer für die Einführung des besagten Ehrentages der Väter. Das ist auch gut so, denn der "Vatertag", wie er hierzulande begangen wird, hat seinen Ursprung im Berlin Ende des 19. Jahrhunderts. Bei seinem Alter von mehr als einhundert Jahren und mit seiner ungebrochenen Tradition ist er sicherlich ein passender Auftakt der "Traditionswochen".



22.05.14 Fock mit Baum

Mancher kann die Begeisterung für alte Gaffelsegler nicht teilen. Soo viele Strippen, dazu die Flaschenzüge und die schweren  Stangen. Alles aus Holz. Wer soll das denn nur immer pflegen?
Wer so denkt, kann gerne auf moderne Kunststoffjachten mit klappernden Drahtfallen im Aluminiummast und teuren Winschen ausweichen. Jede Leine hat nur eine Funktion und wer dann immer noch die Übersicht verliert, braucht sich nur zu merken: Der Barber Hauler ist rot gestreift.
Womit wir bei den Vorsegeln wären. Es gibt allerdings einen Vorteil moderner Segelschiffe, den man auch als eingefleischter Traditionalist anerkennen muss. Die Fockschot hat auf heutigen Segeljachten in der Wende weniger Möglichkeit, festzuhaken.
Diese Belegnägel fangen sich die Fockschoten
in jeder Wende und Halse
Man ahnt ja kaum, wie fantasievoll diese Leinen sein können, wenn es darum geht, ein Manöver gründlich zu versauen. Unsere bleiben mit Begeisterung an den Belegnägeln am Großmast hängen. Das wäre leicht zu verhindern, wenn man die Halter einfach absägte. Allerdings sprechen zwei Gründe dagegen:
  1. Wer wird denn solch einen schönen alten Beschlag verschandeln?
  2. Die Fallen müssten an einer anderen Stelle belegt werden und die Schoten würden dort einfach weitermachen
Weil das  so ist, musste bisher bei Wenden und Halsen immer jemand nach vorne und die flatternden Leinen auf den rechten Weg bringen. Das ist im günstigsten Fall lästig, bei grobem Wetter gefährlich.
Das Problem wäre mit einer Selbstwendefock zu lösen. Dagegen sprechen allerdings die Kosten für einen Schotwagen auf dem Vorschiff. Der ist zudem eine üble Stolperfalle und die aufs Deck klappernden Blöcke sind ein bewährtes Folterinstrument.
Wir haben jetzt eine Baumfock ausprobiert und sind mit den Ergebnissen vollkommen zufrieden. Wenden und Halsen, bei wenig und bei viel Wind werden einhand gefahren und die Schot hat sich nirgends festgeklammert. Erfreulich ist der deutlich kleinere Wendewinkel auf der Kreuz.

Leider fanden wir für unseren Zweck wenig nützliche Informationen im Internet zu diesem Thema. Die meisten Beiträge schilderten alle möglichen theoretischen Probleme. Jedoch gab es wenig fundierte Beschreibungen oder Erfahrungsberichte. Der Fockbaum könne unkontrolliert steigen, wurde verschiedentlich vermutet und dann wäre das Segelprofil zum Teufel. Oft wurde gewarnt, dass der "Knüppel" unterschiedslos jeden vom Vorschiff prügelt, der ihm zu nahe kommt.
Beides blieb uns bisher erspart. Die Chancen, dass es dabei bleibt, sind nach den bisherigen Erfahrung sehr gut.
Manche Beiträge befassten sich mit der Frage, wo der beste Punkt für das Lümmellager des Fockbaums ist. Es ist tatsächlich so, dass ein nach hinten versetzter Drehpunkt bewirkt, dass der Zug auf das Unterliek bei dichten Schoten größer wird und damit das Segelprofil flacher. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Drehpunkt direkt unter dem Vorliek der Fock
auf allen Kursen zu einer gleich guten Strömung führt - wie die Windfähnchen (tell-tales) am Vorliek der Fock anzeigen.

Eine Einschränkung hat die selbstwendende Baumfock aber doch: Man kann das Segel nicht backstehen lassen, womit wir bisher die Wenden unterstützt haben. Jedoch gehen die Wendemanöver jetzt erheblich schneller. Deswegen ist dieser Trick nicht länger nötig. Zum Beiliegen reicht ein backstehender Klüver vollkommen aus.

Die Versuchsversion:
Eine gebrauchte Genua und Holz vom Baumarkt
Der Fockbaum wird an einer kleinen Klau auf der Spannschraube des Vorstags geführt. Das Unterliek wird durch einen Strecker eingestellt. Der Baum ist leicht und lässt zwischen Nock und Großmast genügend Platz  für einen gefahrlosen Durchgang. Um den Fockbaum nicht auf Biegung zu belasten, zieht die Schot an der Achse der Scheibe für den Unterliekstrecker. Das Schothorn wird durch ein Rack auf den Baum gezogen. Die Schot wird über zwei Blöcke am vorderen Deckshaus geführt. Sie sind weit genug auseinander, dass der Baum nur wenig steigt, aber weit genug von der Reling entfernt, dass die Schot dort nicht schamfielt. Von dort läuft sie durch einen Block am Fockbaum. Alle Blöcke sind Klappläufer. Auf einer Seite der Fockschot ist hinter der Leitöse eine Streckertalje fest angeschlagen. Sie übernimmt die Funktion der Schotblöcke an einer normalen Fock. Das Vorliek und das Achterliek sind länger als das der normalen, überlappenden Fock. Deswegen ist die Segelfläche nur einen halben Quadratmeter kleiner.
Die ganze Einrichtung wurde von uns zunächst für einen Versuch entwickelt, ohne weitere Änderungen am Schiff. Der Versuch sollte wenig kosten und der vorherige Zustand sollte jederzeit wiederhergestellt werden können. Hätte das Ergebnis nicht befriedigt, hätten wir immer noch an Erfahrung gewonnen. Aber wir sind mit unserem Versuch sehr zufrieden und werden die Baumfock behalten. Vielleicht werden wir sie in einem späteren Schritt mit einer Reff-Möglichkeit versehen. Aber wir können auch eine Sturmfock auf herkömmliche Weise anschlagen.

P.S. ein kleiner Tipp zum Schluss: Es hat sich bewährt, vorm Segelsetzen den Unterliekstrecker  zu lösen.

18.05.14 Unter den Wolken

"Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein", sang Reinhard Mey im Jahr 1974. Vierzig Jahre später ist es unter den Wolken auch ganz nett.
In vieler Hinsicht ist jetzt eine der schönsten Jahreszeiten für Fahrtensegler. Vor der Urlaubssaison findet sich immer noch ein ruhiger Ankerplatz. Das Gedränge an den Brennpunkten der "Wasserautobahnen" ist noch überschaubar und die Temperaturen sind durchaus erträglich. Wenn dann noch ein brauchbarer Wind weht, bleibt nicht mehr viel zu wünschen übrig.
Während der letzten Tage war das Wetter mittelmäßig, kühl und es regnete immer wieder. Der Wetterfrosch sprach von den Eisheiligen und versprach zum Wochenende Besserung. Ein Hoch weite sich von Westen aus, hieß es, und die Tiefs zögen nach Osten ab. Also verschoben wir unsere Pläne auf das Wochenende.


Anprobe:
CHARLOTTE bekommt neue Kleider
Alles neu macht der Mai, spricht der Volksmund. Liegt es am Frühling oder liegt es an der Rum-Regatta, die in knapp zwei Wochen beginnt? Vielleicht an beidem. Sicher ist, dass CHARLOTTE, unsere, bislang "nackte", Nachbarin, neue (Segel-)Kleider bekommt. In dezentem Beige, très chic. Als wir Freitag Mittag zu unserem Liegeplatz kommen, werden gerade die neuen Textilien angeschlagen. Allerdings ohne das Segelzeichen "L 70", das an ihren Ursprung erinnerte, als sie noch im Lymfjord auf Fischfang fuhr. Aber vom Flair des Alten war nach dem refit ohnehin nicht mehr viel übrig geblieben. Während der letzte Eigner sein Schiff gerne etwas "loddelig" hatte, verfolgt der jetzige eine andere Linie. Die Zeiten ändern sich eben. Wer mag schon entscheiden ob blätternde Farbe und verspakte Segel besser in einen Museumshafen passen? Ideales Wetter zum Segel anschlagen, denn kaum ein Hauch bewegt die Luft. "Flaute aus nördlicher Richtung" wäre die passende Bezeichnung dafür. 
Wir jedoch wollen segeln, haben Essen und Trinken für ein paar Tage gekauft und fragen uns: "Was tun?" Für eine leichte Jolle noch ausreichend, hätte uns der sanfte Hauch in zehn Stunden etwa fünf Meilen vorangebracht, fast bis zu den Ochseninseln.
ALBATROS, gefolgt von ...
... SEUTE DEERN
Also musste "Sir Henry", wie wir unser eisernes Segel nennen, zu Hilfe kommen. Wir trösten uns damit, dass Motoren auch immer wieder warm gefahren werden müssen, sollen sie nicht vorzeitig altern. Also geht es mit Marschfahrt Richtung Holnis Enge. Von Weitem sehen wir schon die Silhouette zweier Traditionssegler. Im Näherkommen erkennen wir ALBATROS und SEUTE DEERN. Sie werden wohl wieder einmal in Flensburg die Crew wechseln. Obwohl sie alle Segel gesetzt haben und aus der Flaute immerhin eine schwache Brise wurde, laufen ihre Maschinen mit. Na klar, sie werden ihren Fahrplan haben und den müssen sie einhalten. Uns reicht es aber und in der Rinkenæs Bugt ist endlich Ruhe im Schiff, und mit den Segeln am Mast steigt die Stimmung. Eine Anzahl moderner Jachten pflügen durch das Wasser. Sie wären unter Segeln sicherlich doppelt so schnell wie wir, aber das scheint nicht genug zu sein. Überall brummen die Motoren, während wir die Langsamkeit entdecken. 
Der nördliche Wind schiebt uns um die Schwiegermutter und um die Ecke von Brunsnæs in die äußere Förde. Irgendwann kommt Kragesand in Sicht. Dort nimmt der Wind zu und unsere Geduld wird endlich belohnt. Mittlerweile haben wir nicht nur ordentlich zu Mittag gespeist, auch Nachmittagskaffee ist längst getrunken. Eine Rotte Segeljachten kommt von achtern auf. Alle unter Vollzeug, die Maschine läuft mit. Unseren Ankerplatz erreichen wir unter Segeln kurz vor Dämmerung. Wo der Anker fällt, setzen wir, wie gewöhnlich, die Markierungsboje. Nun schläft auch der Wind wieder ein. Die Sonne sinkt über dem spiegelnd glatten Wasser. 
In der Nacht hören wir ein Motorboot dicht vorbei fahren. Da es ohnehin Zeit für die Toilette ist, werfen wir einen Blick nach draußen. Der Blick reicht höchstens zwanzig Meter weit. Dichter Nebel hat uns eingehüllt, von der Ankerlaterne hell erleuchtet. Schwalben zwitschern über den Masten. Plötzlich tauchen sie auf, landen auf der Reling und putzen aufgeregt ihre nassen Federn. 

Vormittags hebt sich der Nebel und ein strahlender Sonnentag beginnt mit einer angenehm warmen Brise. Weit und breit ist kein anderes Schiff zu sehen. Kein Geräusch stört den Frieden. Nur hin und wieder quaken ein paar Enten. Wo mögen die Schwalben geblieben sein?

Am nächsten Morgen verspricht der Wetterbericht NE drei bis vier, abnehmend,
Die Ankerboje am Morgen danach
E drehend, später Schauerböen. Wir entscheiden uns, nach Flensburg zurück zu segeln.  Beim Ankeraufgehen vermissen wir die Ankerboje. Nur noch ein winziger Rest baumelt an der Trippleine. Nun ja, bei Nacht und Nebel passiert so allerlei. Diebstahl kann wohl ausgeschlossen werden.
 
Jetzt, am Sonntag, ist die Sønderborg Bugt von vielen Segeljachten belebt. Viele segeln "dänisch", also mit gleichzeitig laufender Maschine. Vielleicht haben sie Notrufe erhalten und müssen schnell nach Hause, denken wir und freuen uns, dass uns das erspart bleibt. Die Windrichtung ist günstig um außer dem
Unter den Wolken
"großen" Klüver (30 m²), dem Toppsegel ( acht m²) auch das Besan-Stagsegel (38 m²) zu setzen. Und natürlich auch, um die Baumfock weiter zu testen. So kommen wir insgesamt auf 147 m² bei raumem Wind. In der Äußeren Förde kommt eine große klassische Jacht entgegen. Was für ein schönes Schiff! Wir philosophieren über die Entwicklung des Segelsports im Laufe der Zeiten. Da sehen wir, jetzt schon wieder bei Brunsnæs eine moderne Rennjolle. "Es ist alles schon mal dagewesen" passte da genau ins Bild. Was sonst soll man denken bei dem Segel dieser kleinen high-Tech Maschine? Der Umriss ähnelt doch sehr dem Gaffelsegel samt Toppsegel auf Gaffelseglern von vor mehr als einhundert Jahren.




















08.05.14 Werftimpressionen

Dunkle Wolken hängen tief über dem Nybøl Noor, immer wieder regnet es Bindfäden. 

Auf der Werft von Christian Johnson arbeiten die Bootsbauer wie eh und jeh an der frischen Luft.
Umgeben von alten Segelschiffen aus Holz könnte man nostalgische Empfindungen entwickeln.
SKYLLA, eine feine alte Lady, gebaut von Johan Anker

Aber es gibt keine Nostalgie bei Nieselregen. Nur nasse Kleidung und kalte Füße. Die Bootsbauer brauchen ein gutes Durchaltevermögen, wenn das Regenwasser in den Kragen läuft. 

Wir können jedoch interessante Eindrücke sammeln.

Dunkle Wolken über RAKEL



Gerade wird  SKYLLA zu Wasser gelassen. Für sie endet der Landaufenthalt, den sie schon seit Jahren im Winterlager der Werft verbringt. Wir lernen ihren stolzen Besitzer kennen und blicken gemeinsam auf RAKEL, die ja sein berühmter Landsmann Colin Archer gebaut hat. "Mein Schiff stammt auch von einem großen norwegischen Schiffsbauer" sagt er bescheiden. "Von Johan Anker. Es ist nun knapp 100 Jahre alt". Donnerwetter. Das sieht man der schnittigen Klassikerin nicht an. Ja, das Projekt der Werft von Robbe&Berking Classics kennt er natürlich und er will in nächster Zeit dort einmal vorbei sehen. Ein Regenschauer trennt uns, dabei gäbe es noch viel zu erzählen. 









AURORA nackt bis auf die Spanten




Was wir am Platz der AURORA von ALTONA sehen, lässt unsere Mägen krampfen. Hier werden gerade Planken aus dem Rumpf geschnitten, die dringend ersetzt werden müssen. Außen ist markiert, wo innen die Spanten sitzen. Dazwischen fährt Ronnie mit der Spitze der Kettensäge in das alte Holz. Späne rieseln mit dem Regen um die Wette, es riecht nach altem Schiff und Bilge. Bald wir der die Plakenstücke über den Spanten mit einem Kuhfuß herausbrechen. Mit den nutzlos in die Luft ragenden Nägeln erinnert das Gerippe eher an einen verhungerten Igel als an ein Segelschiff. Aber so sehen alle Intensivreparaturen aus, bevor die Rümpfe wieder mit hellen, herb duftenden Eichenplanken versehen sind. Das kann bei AURORA noch ein bisschen dauern. Aber der Eigner will an der Rum-Regatta teilnehmen, erfahren wir. Jahreszahlen wurden nicht genannt. 
Ein Blechkleid für den neuen Vorsteven der DAGMAR AAEN



 
KÄTHE von FRIEDRICHSKOOG
Besser sieht es in dieser Hinsicht auf DAGMAR AAEN aus. Noch vor ein paar Tagen war der vorderer Teil des Rumpfes auf Backbord  weitgehend ohne Planken. Diese Wunde ist inzwischen wieder weitgehend geschlossen. Der Vorsteven bekommt gerade eine Schutzhülle aus dickem Aluminiumblech. Es wird ihn vor Eisgang schützen. Lange können wir nicht zusehen, wir haben keine Schutzbrillen gegen das blendend grüne Licht der Schutzgasschweissung.  








Hinter DAGMAR AAEN steht KÄTHE von FRIEDRICHSKOOG auf dem Slipwagen. Es regnet und niemand ist zu sehen, der uns Auskunft geben könnte. 










Regenschutz auf STORE BJØRN,
dahinter der neue Großmast der FULVIA af ANHOLT




Jetzt noch ein schneller Abstecher zu STORE BJØRN und der länsseits liegenden FULVIA af ANHOLT. Dort gibt es Planen über dem Deck, wo wir uns für kurze Zeit unterstellen können. FULVIA ist unbewohnt, aber sie hat ihre Masten wieder gestellt. Mehr können wir heute nicht berichten.










Auf der Rückfahrt nach Flensburg geht uns RAKEL nicht aus dem Kopf. Ihr Rumpf müsste dringend so weit hergestellt werden, dass sie sicher im Wasser liegen kann. Denn in diesen Zeiten dauert es lange bis ein altes Segelschiff aus Holz einen neuen Eigner findet. Und mit einem Lecksegel wird sie Winterstürme und harten Wellenschlag nicht überstehen. Einhunderttausend Dänische Kronen soll es kosten, die Reparatur bis dahin voranzutreiben. Das sind etwa 15000 Euro. Das ist natürlich viel Geld. Aber ist es zu viel für dieses einmalige Schiff? Die Alternative steht vor der Werfthalle: Es ist der Abfallcontainer für Altholz.

 

06.05.14 RAKEL wieder auf dem Markt

RAKEL
Quelle: Schiffshistorisches Archiv Flensburg
Das Schicksal der RAKEL berührte zahlreiche Freunde des alten Schiffes. Vor einem knappen Jahr havarierte die Ketsch auf einer Überfahrt von Bremerhafen nach Helgoland im Sturm. Starker Wassereinbruch machte einen Dringlickeitsruf notwendig. Die DGzRS kam mit dem Rettungskreuzer   HERRMANN MARWEDE zuhilfe. RAKEL konnte gesichert werden, die Besatzung kam zum Glück mit vergleichsweise geringen Blessuren davon. Kurz darauf suchte und fand der Eigner einen Käufer, der zusammen mit der renommierten Werft von Christian Johnson in Egernsund das große Projekt zur Restauration des alten Fischereibegleitfahrzeugs in Angriff nahm. Ein mutiges Vorhaben, was aber der historischen Bedeutung der RAKEL angemessen erschien. Immerhin ist sie das letzte Schiff, das noch von Colin Archer selbst gebaut wurde und sie ist das letzte originale Fischereifahrzeug des genialen Norwegers.
Nun wurden wir auf eine Anzeige des Internetportals "Boote-Yachten" aufmerkssam: RAKEL ist wieder zu verkaufen, für 45000 Euro. Der jetzige Eigner schreibt in der Anzeige:
"... Ich habe Rakel in sehr schlechtem Zustand letzten Winter in Bremerhaven entdeckt, das Schiff gekauft und nach Egernsund zur Restaurierung überführt. Alle Arbeiten wurden unter Aufsicht der See BG durchgeführt. Fast alle Spanten, der Vorsteven und das Kielschwein sind gewechselt worden. Geplant war der Einsatz des Schiffes als Sonderfahrzeug.
Aus privaten Gründen ist mir eine Fortführung des Projektes leider nicht mehr möglich.
Weitere Informationen bitte per Mail erfragen."
Die Mobil-Telefonnummer reichen wir hier auch gleich nach:  015204928792

Wir wünschen dem Schiff einen neuen Eigner, der das ambitionierte Projekt erfolgreich zuende führt.

Weitere Informationen:
Berichte in den HAFENMELDUNGEN über RAKEL

05.05.14 Träume und Schäume

Der Geschäftsführer der Flensburger Museumswerft hat sich vorgenommen, die Stadt mit einer Attraktion zu beglücken, die an die glorreiche Vergangenheit des ehemals dänischen Flensburgs erinnern soll, als die Stadt von dem Dreieckshandel mit den dänischen Inseln in der Karibik profitierte. Schon seit nahezu zwanzig Jahren, so berichtet jetzt das Flensburger Tageblatt, habe er  im Sinn gehabt, einen der Segler aus der großen Zeit der Stadt zu bauen.
Damals, im Schatten der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich, konnte das neutrale Dänemark weitgehend ungestört seine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, als die Wunden des großen Nordischen Krieges mit Schweden zu heilen begannen. Flensburg war zweitgrößte Hafenstadt des Königreichs und der Handel mit den Kolonien florierte.
In Reisen von mehreren Monaten Dauer wurden Baumaterialien und Dinge des täglichen Bedarfs in die Kolonien geschafft, im Gegenzug kamen hauptsächlich Rohrzucker und Rum ins Land.  Flensburg profitierte darüber hinaus vom Schiffbau, der Proviantierung und der Ausrüstung der Schiffe. Die Arbeit auf den Plantagen wurde ausschließlich von Sklaven verrichtet. Mit Ende der Sklaverei und der zunehmenden Erzeugung von Zucker aus Rüben ab dem Wechsel von 18. zum 19. Jahrhundert ging diese Zeit zuende.

Der Seehandel wurde mit den damals modernen Zweimaster-Segelschiffen vom
Schnaubrigg des 18. Jahrhunderts
Abb. WIKIPEDIA
Typ "Schnaubrigg" abgewickelt. Solch ein Schiff also sollte gebaut werden und entweder schwimmend im Hafen oder in einer Art Dock an Land, vorzugsweise vor dem Schifffahrtsmuseum, öffentlich zugängig ausgestellt werden. Um die vierzig Meter lang würde der Bau und entsprechend hoch würden seine Masten aufragen. Unübersehbar würde er die Altstadtkulisse beherrschen, eine Attraktion, die nicht zu übersehen wäre.

Als historische Vorlage wurde ein Schiff ausgesucht, das zwar nicht in Flensburg gebaut wurde, das aber einem flensburger Original nahe kommt, die FORENING.
FORENING vor vier Wochen
Der Bau sollte nach zeitgenössischen Methoden handwerklich hergestellt werden, ein Objekt also von schiffsarchäologischer Qualität. Um das Projekt auch schiffsbautechnisch abzusichern wurde ein Modell im Maßstab 1:3,5 auf Kiel gelegt.  Das war im Frühjahr 2012. Seitdem wurden, so die Zeitung, 300.000 Euro verbaut, allerdings nach weniger historisch korrekten Methoden als gemeldet. Nicht Holzverbindungen, sondern moderne Klebstoffe und Schrauben halten den Rumpf zusammen. Aber sei's drum, nun ist der Rumpf des Modells weitgehend fertiggestellt und deshalb soll entschieden werden, wie es mit der Vision der "großen" Schnaubrigg für Flensburg weitergehen soll.

Die Stadt, so erwartet die Werftleitung, brauche lediglich den Bau "wohlwollend begleiten". Finanziell soll "niemand hineingezogen werden" wurde versprochen. Aber die Stadt ziert sich dennoch, so ist zu lesen. Es geht wohl nicht nur darum, wo das Schiff gebaut, sondern auch, wo es anschließend aufgestellt werden soll. Das Gelände der Museumswerft ist dafür zu klein. 

Blick auf ein kleineres historisches Schiff (30 Meter lang), hier die
WISSEMARA, kürzlich Gast im Historischen Hafen.
Das will sorgfältig überlegt sein.  Ein Schiff, an Land aufgepallt, wirkt erheblich größer als im Wasser. Das gilt vor allen Dingen, wenn der Betrachter dicht davor steht, wie es auf der Schiffbrücke unvermeidbar ist, solange die Durchgangsstraße samt Buspur und Radwegen erhalten bleibt. Die "neue Idee" von einem Trockendock erfordert im Historischen Hafen Flensurg  ausreichend hohen Schutzmauern. Schließlich wird das Gelände immer wieder überflutet.

Vielleicht lohnt es, sich bei der Gelegenheit auch einmal an die "Danske Jagt" zu erinnern. Auch mit ihr sollte eine Vision Wirklichkeit werden: Das Schiff sollte nach seinem Stapellauf im August 2009 einmal pro Woche zwischen Broager und Flensburg verkehren. Es hat den Werftbereich nie verlassen. Mittlerweile sieht es so alt aus wie seine originale Vorlage jetzt aussehen müsste, wenn es sie noch gäbe.

04.05.14 Rah-bumm!

Traditionelle Segelschiffe unterscheiden sich in vieler Hinsicht von ihren modernen Nachfolgern. Dazu gehört, dass bei den älteren Entwürfen Bauteile über die Grenzen der Decksfläche ragen. Solche Grenzüberschreitungen können zu heftigen Reaktionen führen, besonders wenn eine der beteiligten Seiten ohnehin schon unter großer Spannung steht.
Am 2. Mai kam es in Haarem (NL) zu einem besonders spektakulären Zwischenfall, als der Nachbau eines Ostindienfahrers, die SOEVEREIN, mit seiner Rah eine Hochspannungsleitung unter der geöffneten Klappbrücke berührte. Glücklicherweise kam bei dem Unfall niemand zu Schaden. 

Foto: Michel van de Bos
Einen weniger spektakulären Fall einer solchen Havarie hatten wir vor fast genau einem Jahr im Museumshafen, als RYVAR sich an der quer gebrassten Rah deLILLE BJØRN verhakte und sie mit einem lauten Knall abknickte.

Aber nicht nur Rahen kommen manchmal verquer. Vor einigen Jahren legten wir WIEBKE BOHLEN im überfüllten
WIEBKE Bohlen mit Wasserstag unter dem Klüverbaum
Foto: Joachim Staugaard
Hafen von Ballen an, rückwärts an die Hafenmole. Während wir langsam in die Lücke zwischen zwei andere größere Schiffe fuhren, gab es einen lauten Schrei dicht vor unserem Bug. Den hatte eine ältere Motorbootfahrerin ausgestoßen, als ihr wackerer Skipper unter unserem Wasserstag hindurch fahren wollte, während sie auf dem Vorschiff die Festmacherleinen klarmachte. Er setzte das Manöver ohne seine Begleiterin fort. 

Bei solchen Gelegenheiten wird einem klar, wie sehr sich die Welten der Skipper von Schiffen neuerer und traditioneller Art unterscheiden. Trotz lautstarker Aufforderung fahren wir im Hafen immer noch keine rote Warnflagge unter dem Klüverbaum um kleinere Motorboote vor dem "unvernatwortlichen" Bauteil zu warnen.








04.05.14 Bernsteinstraße und folkBALTICA

In ihrem 10. Jahr findet die folkBALTICA unter dem Titel "Das Bernsteinstraßen-Festival" statt. Begleitend hierzu zeigt das Flensburger Schifffahrtsmuseum vom 07. Mai bis 09. Juni die Austellung "The Amber Road Show" mit Arbeiten von Künstlern aus zehn Ländern an der historischen Handelsstraße.

Eröffnet wird die Ausstellung am

06. Mai  um 19.30 Uhr

Das Karolina Cicha Duo wird live auftreten.


Zur Ausstellung erhielten wir folgende Information:
Außerhalb des Römischen Reichs gab es einige wenige Handelswege, über die seit der Vorzeit Bernstein aus dem Baltikum in die Alpenregion und nach Italien gelangte. Einer der wichtigsten Routen führte von St. Petersburg nach Aquileia, über die heutigen Staaten Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien. Internationale Handelswege sorgten nicht nur für den Fluss von Waren, sondern verbanden auch Menschen und Kulturen. Das Musikfestival folkBALTICA geht in seinem diesjährigen Fokusthema „Bernsteinstraße“ erstmals den musikalischen Verbindungen nach, die sich zwischen Ostsee und Mittelmeer quer über den europäischen Kontinent entfaltet haben. Als fotografische Ortserkundung präsentiert das Flensburger Schifffahrtsmuseum begleitend zum Festivalschwerpunkt vom 7. Mai bis 9. Juni 2014 die Ausstellung „The Amber Road Show“.

Initiatorin des Ausstellungsprojekts ist die 1989 gegründete niederöster-reichische Initiative für Foto- und Medienkunst FLUSS. In Kooperation mit zehn KuratorInnen aus den Ländern entlang der historischen Bernsteinstraße wurden Foto- und MedienkünstlerInnen eingeladen, Arbeiten zu den aktuellen Themenkreisen Handel, Verkehr und Transport in Zeiten der Globalisierung zu realisieren. Die entstandenen Foto- und Videoarbeiten öffnen den Blick auf die verschiedenen sozialen, ökonomischen und kulturellen Wirklichkeiten zwischen dem östlichen Nord- und Südeuropa.
Foto: Alexey Tikhonov

Alexey Tikhonov sucht vermittels der Fotografie das Besondere an modernen Handelswegen, die meist recht langweilig und gewöhnlich sind, und bringt so einen Archetypus der Reise zurück, der als Abenteuer tief in der menschlichen Natur verwurzelt ist.

Birgit Püve
setzt sich mit den Schattenseiten der modernen Freiheit in einer Welt ohne Grenzen auseinander, die vielen OsteuropäerInnen auf der Suche nach einem besseren Leben im Westen widerfahren: Menschenhandel, sexuelle Sklaverei und Zwangsarbeit.

Harijs Daina LiepiĦš
portraitiert „mechanische Esel“: selbstgemachte Container, Boxen oder Blechbadewannen auf alten Kinderwagengestellen. Als Transportmittel sind sie seit mehr als 40 Jahren Teil des täglichen Lebens der ärmeren Bevölkerung Lettlands.

Foto: Mindaugas Kavaliauskas

Mindaugas Kavaliauskas hat sich einem boomenden neuen
Industriezweig Litauens angenommen: dem Gebrauchtwagenmarkt. Nirgendwo sonst werden so viele Autos aus dem Westen importiert, in zahlreichen Werkstätten rekombiniert und weiter in den Osten, bis Kasachstan und Turkmenistan, verkauft.

Anna Orłowska
nähert sich dem Thema auf symbolische Weise. Schwarze Löcher und Schmutz auf Landkarten bedeuten das Ende der Goldenen Ära des Handels. Wer könnte daraus noch Vorteil ziehen außer HändlerInnen unsichtbarer Produkte?

Konzeptionell ist die Arbeit von Aleksandra Vajd & Hynek Alt. Eine in einem Schaukasten präsentierte Aufnahme einer belichteten Filmrolle weist auf die Exponiertheit der einsamen menschlichen Existenz hin, die die vielfältigen Eindrücke der Welt nur noch aufnehmen, ihnen aber nichts Produktives mehr hinzufügen kann.

Ernest Pointner
dokumentiert die Großbaustelle der Nordautobahn im Jahr 2009. Seine Manier alter Schwarzweiß-Fotografie erinnert gespenstisch daran, dass diese Autobahn bereits zur Zeit des Nationalsozialismus konzipiert worden war.

Gábor Arion Kudász
realisierte 2003 eine Studie vorläufiger
Straßenrandlandschaften und der Menschen, die sich auf eine Transitroute verlassen, um ihr Auskommen zu finden – vom wohlhabenden Westen Ungarns bis zum bitterarmen Osten.

Kaja Brezočnik
erzählt die Geschichte moderner Lasttiere – tonnenschwerer Lastkraftwagen – und folgt ihnen auf Wegen, Straßen und Autobahnen, die, einst Bernsteinstraße, heute als Hauptverkehrsadern in das Herz des Kapitalismus führen.

Viola Pinzi
schließlich thematisiert die Empfindung des Reisens in gegenwärtigen Translations- und Verschiebungsprozessen der Migration, in der alle Bewegungen nicht mehr kontinuierlich, sondern vielmehr als Beispiele einer viel zeitgemäßeren sprunghaften Schnittfolge ablaufen.

Den Foto- und Medienarbeiten stellt die Ausstellung Arbeiten zeitgenössischer Bernsteinkunst aus der Sammlung des Deutschen Bernsteinmuseums Ribnitz-Damgarten gegenüber. Die Schmuckstücke, Skulpturen und freien Arbeiten verdeutlichen, dass das gelblich-golden bis rötlich schimmernde fossile Harz als Werkstoff gerade in den Ostseeanliegerstaaten auch heute noch KünstlerInnen und KunsthandwerkInnen immer wieder aufs Neue inspiriert.