03.08.13 Des Lied ich singe

So stellt sich der Besucher aus küstenfernem Land das Leben in einem Museumshafen vor: Blaue Jungs von der Waterkant singen Shanties auf einem alten Segelschiff.
Was mit Santiano vor bald zwei Jahren auf FULVIA begann, setzte heute der Tarper Shanty-Chor im Museumshafen fort.
Grauhaarige Shanty Chöre schmettern Arbeitslieder vom Anker-auf-gehen und von der Sehnsucht nach Kap Horn. Und dabei stehen die betagten Sänger, die nach der x-ten Runde am Ankerspill vermutlich ärztlichen Beistand benötigt hätten, auf einem Küstensegler, der als Auflieger Gast im Museumshafen ist. Was gibt es daran zu meckern?
Shanties sind Lieder der Seemänner auf den Blauwasser-Seglern des 19. Jahrhunderts. Mancher hört's gern,  wie auch bayrische Blasmusik durchaus ernst zu nehmende Freunde hat. Volksmusik vom Meer, gut für die Seele, gut für's Gemüt. So fand dieser Liedervortrag heute zahlreiche Touristen als Zuhörer, die zufällig über das Bohlwerk gingen. Denn eigentlich sollte der Chor nur fotografiert werden. Als Kulisse diente dazu OLINE, von der Manche sagen, sie sei das älteste Segelschiff aus Holz auf der Ostsee. 

Glaubhaft oder nicht - es gab eine Zeit vor dem Radio, vor MP3- und CD-Player.  Da sangen Menschen bei der Arbeit, an Land und auch auf Schiffen. Das war, als die Mechanik der Segelschiffe noch von Menschen mit ihrer Muskelkraft bewegt wurde, also etwa bis Anfang des letzten Jahrhunderts. Dann mussten alle im gleichen Rhytmus arbeiten, sonst wurde da nichts draus. Wer's nicht glaubt, muss nur hinsehen, wenn auf einem Traditionssegler ein dutzend Gäste spontan am gleichen Fall ziehen. 
Es liegt auf der Hand, dass eine Crew von drei Mann (Schiffer, Knecht und Junge) keine Capstan-Shanties sang. Das lohnte erst, wenn mehr Männer arbeiteten, dann kam manchmal auch ein Vorsänger dazu. Auf OLINE waren heute über zwanzig Sänger, mehr als die Besatzung einer Bark auf Blauwasserfahrt nach dem ersten Weltkrieg.
Heute will keiner mehr auf See diese Schinderei hinnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu fristen. Aber die Lieder wirken fort. Der Lohn, die "Heuer", kommt nicht vom Heuerbaas und dem Schipper, sondern von Tourismusverbänden, zahlenden Gästen einer maritimen Erlebnisveranstaltung und oft auch gleich aus der öffentlichen Hand. Das trübt leider die Sicht auf die historischen Ursprünge. Bis auf eins. Wes' Brot ich ess' des Lied ich sing (Ludwig XIV. zugeschrieben). 
In dem Sinne: "Alle Segel hoch, volle Fahrt voraus Santiano!"

PS.: Daneben gab es natürlich auch Lieder, die in der Freiwache nur zur Unterhaltung gesungen wurden, aber das waren keine Arbeitslieder im engeren Sinne.