23.11.12 Schiffshistoriker bei der Arbeit

Wenn Sachkenntnis auf Meinung trifft sagt man im Englischen oft "don't confuse me with facts". Dem kann man durch Recherche abhelfen.
Am Bohlwerk informiert einer der Schautafeln, wie früher "Snurrewaden-Fischerei" betrieben wurde. Für diese Art zu fischen, wurden viele verschiedene Schiffstypen unterschiedlicher Größe eingesetzt. Außerdem liegen im Museumshafen, am Bohlwerk vertäut, einige "Haikutter". Deren Originalität und schiffshistorische Entstehung führt gelegentlich zu so etwas wie Meinungsaustausch.
Deswegen die Zusammenhänge vorneweg:
Snurrewadenjolle von 1886
Die Bezeichnung "Snurrewadenkutter" umfasst alle Fischereifahrzeuge, die Dreh- oder Ringwadenfischerei betreiben. Dazu gehören auch die Haikutter. Diese haben jedoch durchweg einen Maschinenantrieb. In der Frühzeit der Motorisierung waren das Glühkopfmotoren. Es soll auch Versuche mit Dampfantrieb gegeben haben. Später wurden schnell laufende Dieselmotoren eingesetzt.
Der Name "Haikutter" stammt aus der Anfangszeit der Motorisierung und war Ausdruck der Empörung darüber, dass sie, durch den Antriebsmotor vom Wind unabhängig, "wie die Haie" in die Reviere der anderen Fischer einfielen und sie um die Früchte ihrer Arbeit brachten. So weit wird jeder zustimmen. Welche Merkmale Haikutter von segelnden Snurrewaden-Kuttern darüber hinaus unterscheiden, führt jedoch immer wieder zu Diskussionen.

Hierzu ein Bericht über das sachliche Ergebnis einer Reise nach Esbjerg zum Fischerei und Seefahrtsmuseum. Gerd, Schiffshistoriker des Museumshafens Flensburg, fuhr dorthin mit der Frage:
"gab es einmastige, segelnde Snurrewadenkutter ohne Hilfsmaschine und Deckhaus?" 
Modelle von Haikuttern
Dazu muss bemerkt werden, dass dieses Museum der nach Kopenhagen größte Hort für Dokumentationen über Snurrewadenkutter ist. Hüter dieses Schatzes ist Niels Knudsen; er und seine Kollegen haben ihr Wissen und Unterlagen sehr hilfreich beigesteuert. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank!
Die Unterlagen: das sind ca. 700 mit Bildern und Beschreibung dokumentierte Schiffe aus der Zeit Ende von des neunzehnten Jahrhunderts bis zu den letzten aktiv fischenden Schiffen. Dazu viele zeitgenössische gemalte Bilder und Schiffsmodelle.

Noch einer mit Steuerhaus
Um es kurz zu fassen: Ein solches Schiff, nach dem Gerd fahndete, war dort nicht dokumentiert. Alle segelnden Snurrewadenkutter waren Ketschen aller Größen bis ca. zwanzig Metern Rumpflänge und hatten kein Deckshaus. Dagegen waren alle dokumentierten Haikutter mit einem Deckshaus ausgestattet.Bei denen hatten einige aber nur einen Mast.
Manche hatten zwei Masten, wenn man das was dort das Heck schmückte noch so nennen möchte: Manchmal war es nur der hoch gezogene Auspuff des Motors.
Zwei weitere Ergebnisse: Bei Haikuttern gab es unterschiedliche Formen für das Heck: Das Rundheck, das elliptische Heck, das Kanuheck. Ein Plattgatt oder Spiegelheck wurde nicht gesichtet. Weiterhin sind auch Snurrewadenkutter mit Topstengen dokumentiert.
Das beweist natürlich nichts. Denn hat man etwas nicht gefunden, kann es noch gefunden werden, wenn man wo anders sucht.
Anderenfalls könnte die Reise eines Tages der Anfang eines neuen Alleinstellungsmerkmals des Museumshafens  Flensburg  genannt werden, nämlich als des Museumshafens, in dem die einzigen historisch korrekten einmastigen Haikutter ohne Deckshaus liegen. Um das noch zu verstärken, könnte auch untersucht werden, welche Proportionen bei den Riggs korrekt sind, und so weiter und so weiter. Das ist jedoch derzeit noch reine Spekulation. Wir bleiben dran.

Ein Blick in die Ausstellungshalle
Nun haben wir mit einer englischen Redewendung begonnen und wollen mit einem "last but not least" enden:
Das Museum selbst ist auf jeden Fall einen Besuch wert. In großen und hohen Ausstellungsräumen führt es durch die Geschichte der Fischerei in Esbjerg und an der Dänischen Westküste. Es zeigt originale Schiffe und Arbeitsgeräte aus früheren Tagen. Von Flensburg aus ist es auch gut mit dem Auto zu erreichen. Wir haben ca. eine und dreiviertel Stunde benötigt.
Und noch etwas ganz zum Schluss: Die Zeit der Fischerei ist auch in Esbjerg zuende. Nun hat der Hafen Bedeutung durch die Ölförderung in der Nordsee.